Todeskette
und Tweed winkte Paula herbei. »Wenn Sie wollen, können Sie jetzt hereinkommen«, sagte er leise.
»Ich komme«, erwiderte Paula entschlossen.
Paula betrat das Arbeitszimmer und holte tief Luft. Bella Main saß hinter ihrem Schreibtisch. Ihr Kopf war nach vorn gesunken, und ihr Kleid war an der Brust voller Blut. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte Paula, dass jemand der alten Frau eine Schlinge aus Stacheldraht um den Hals gelegt und so fest zugezogen hatte, dass der Draht mit den Stacheln tief in ihre Kehle eingedrungen war. In ihrem ganzen Leben hatte Paula noch kaum einen schlimmeren Anblick ertragen müssen.
Paula ballte die Hände, die sie tief in die Taschen ihrer Windjacke gesteckt hatte, zu Fäusten, schaffte es aber, nach außen hin ruhig zu bleiben, als Saafeld sie ansprach.
»Wenn Sie wissen wollen, wie sie getötet wurde, müssen Sie hinter den Stuhl kommen.«
Paula ging um die Tote herum und ließ sich von Saafeld zeigen, dass der Stacheldraht an beiden Enden je einen hölzernen Griff hatte. Auf diese Weise hatte der Mörder die Schlinge mit aller Kraft zuziehen können.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, wie es funktioniert«, sagte Paula, die froh war, dass ihre Stimme dabei wenigstens halbwegs normal klang.
»Die Stacheln des Drahtes haben sich tief in den Hals gegraben und dabei die Luftröhre sowie die Halsschlagadern perforiert«, erklärte Saafeld und klang dabei so, als spräche er zu einem Hörsaal voller Studenten. Paula nickte, während sie den blutgetränkten Rücken von Bella Mains Bluse betrachtete. »Das ist eine der grausamsten Mordmethoden, mit denen ich es bisher zu tun hatte«, meinte der Pathologe. Wenn einer wie er so etwas sagte, dann bedeutete das etwas.
»Ich verstehe nicht, wie der Mörder dieses furchtbare Instrument unbemerkt in Bellas Arbeitszimmer bringen konnte«, sagte Paula. »Außer natürlich, er hatte es in einem Behältnis versteckt, zum Beispiel in einer Aktentasche. Aber selbst dann muss Bella ihm bedingungslos vertraut haben, sonst hätte er sich ihr nie von hinten nähern und sie überraschen können.«
Paula bemerkte, dass Tweed bei ihren Worten anerkennend nickte.
»Der Täter muss ihr die Drahtschlinge von hinten über den Kopf gelegt haben«, fuhr sie fort. »Und weil sie die Haare kurz geschnitten trug, hat der Draht den Hals von allen Seiten sofort umschlungen. Glauben Sie, dass Bella lange leiden musste, Professor?«
»Wenn der Mörder die Schlinge rasch und entschlossen zugezogen hat, wohl nicht. Sobald die Halsschlagadern durchtrennt werden, ist es nur noch eine Frage von Sekunden, bis man das Bewusstsein verliert.«
Paula nahm die Hände aus den Jackentaschen und ging langsam um den Schreibtisch herum zu Tweed. Dabei hielt sie den Blick auf den Boden gerichtet.
»Die seltsamen Spuren auf dem Teppich sind nicht mehr da«, bemerkte sie.
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Tweed. »Jemand muss mit einem Staubsauger drübergegangen sein. Wir müssen herausfinden, wer das getan hat und wann.«
»Wenn Sie jetzt alles gesehen haben, würde ich gern die Polizeifotografen und die Herren von der Spurensicherung hereinbitten«, erklärte Saafeld. »Wenn die fertig sind, lasse ich die Tote auf ihrem Stuhl sitzend abtransportieren. Es ist wichtig, dass sie so wenig wie möglich bewegt wird, auch wenn es nicht leicht sein wird, sie so die Treppe hinunterzutragen.«
»Es gibt einen Aufzug«, erklärte Paula. »Er hält unten in der Halle direkt gegenüber der Bibliothek.«
»Das macht die Sache natürlich bedeutend einfacher.«
Tweed und Paula folgten Saafeld hinaus in die obere Bibliothek, wo er zurückblieb und den Männern genaue Anweisungen gab. Sie aber gingen weiter zum Treppenhaus, wo sich Paula rasch über das Geländer beugte und sah, dass Lavinia unten in der Halle mit Newman sprach.
»Lavinia, könnten Sie Snape bitten, den Lift nach oben zu fahren?«, rief Paula ihr zu. »Professor Saafeld möchte Ihre Großmutter nach unten bringen.«
»Ich sage es ihm sofort«, erwiderte Lavinia, die nach wie vor einen ruhigen Eindruck machte.
»Was tun wir als Nächstes?«, fragte Paula, während sie neben Tweed die Treppe nach unten stieg.
»Ich werde sofort damit anfangen, die Bewohner des Hauses zu vernehmen«, erwiderte Tweed.
Als sie unten ankamen, wandte er sich an Newman. »Was haben Sie für einen Eindruck von Lavinia?«, fragte er.
»Die Sache mit ihrer Großmutter geht ihr sehr nahe, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick
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