Todeskind: Thriller (German Edition)
bestimmt ein … Höhepunkt.«
Er hustete. »Oh ja. Vor allem, als meine Kumpel sahen, wie entgeistert ich in den Karton blickte. Sie haben sich genüsslich darüber ausgelassen, was ich wohl anstellen wollte mit dem, ähm …«
»Taschentarzan?«, erbot sich Daphne zuvorkommend.
Wieder lachte er aus vollem Hals. »Ich ziehe den Terminus ›kleiner Freund‹ vor.«
»Der eine so, der andere so. Wie ging’s weiter?«
»Na ja, ich hab die Kekse gegessen und bin dann …«
»Joseph!«, rief sie mit gespielter Entrüstung. »Du hast die Kekse gegessen?«
»Sie waren mit Schokolade überzogen«, sagte er, als würde das alles erklären. »Außerdem war das die Wiedergutmachung für all die blöden Witze, die ich mir wegen ihres Taschendingsbums anhören musste. Jedenfalls suchte ich ihren Namen raus und brachte ihr das Päckchen persönlich. Ich freute mich richtig darauf, sie rot werden zu sehen. Aber sie wurde gar nicht rot. Sie blickte das Gerät an und sagte: ›Wow. Du und ich in meiner Koje – das wird heiß heute Nacht.‹« Er grinste bei der Erinnerung. »Sie brachte mich nicht nur in diesem Moment zum Lachen, sondern jedes Mal, wenn wir uns begegneten. Und irgendwann wusste ich, dass sie es war.« Sein Grinsen verblasste. »Sie war alles für mich.«
Daphnes Augen begannen wieder zu brennen. »Das klingt wunderschön.«
»Sie war großartig. Hubschrauberpilotin, und so verdammt klug.«
»Und was warst du?«
»Auch Pilot. Ich habe eine Prowler geflogen.«
»Du warst Jagdflieger? Ehrlich? Aber wieso warst du überhaupt bei der Navy? Du bist Ingenieur, nicht wahr? Warum bist du nicht ins Familiengeschäft eingestiegen?«
»Das war die Hoffnung meines Vaters, und ihm ist nie in den Sinn gekommen, dass es anders sein könnte. Er hatte meine Zukunft schon fertig im Kopf, bevor ich zur Welt kam. Als ich noch klein war, habe ich das gehasst. Es kam mir vor, als hätte ich überhaupt keinen Einfluss auf mein Leben.«
»Ja, das kenne ich«, sagte sie, »obwohl meine Einschränkung vom entgegengesetzten Ende der sozialen Karriereleiter herrührte. Meine Mama putzte in einem Hotel bei uns in der Stadt. Sie wollte, dass ich mehr erreiche. Deswegen war sie auch am Boden zerstört, als ich schwanger war.«
»Verständlich«, sagte er. »Da muss dir mein Gerangel mit meinem Vater ja lachhaft vorkommen.«
»Anders«, sagte sie. Er sah sie ungläubig an. »Okay, lachhaft trifft es.«
»Jedenfalls wollte ich jemand anders als nur Jack Carters Sohn sein. Mein Vater ist ein prima Kerl und ein richtig toller Vater. Nur … wirft er einen verdammt langen Schatten, in dem ich meine ganze Jugend unsichtbar blieb.«
»Du wolltest selbst Schatten werfen«, sagte sie, und er drückte ihre Hand.
»Ja, und zwar so dringend, dass ich mich ohne Wissen meines Vaters – und ohne irgendeine Verbindung von ihm zu nutzen – in der Naval Academy einschrieb. Ich habe es allein geschafft. Und das war der beste Tag meines Lebens.«
»Und dein Vater?«
»War total gekränkt.« Joseph schüttelte den Kopf. »Aber ich habe es ihm erklärt. Und weil er ein großartiger Vater ist, hörte er zu und erinnerte sich daran, wie er selbst in meinem Alter gewesen war. Danach hat er bei jedem mit mir angegeben, der nicht schnell genug weglaufen konnte.«
»Er hat Grund, stolz auf dich zu sein.«
»Danke. Das bedeutet mir viel.«
Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Aber Daphne konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie es wohl wäre, für jemanden alles zu bedeuten. Für ihn alles zu bedeuten.
Doch dann war die kleine Atempause vorüber, und die Wirklichkeit drang in Form neuer Schneeflocken, die auf die Windschutzscheibe fielen, auf sie ein. Bitte lass ihn nicht frieren. Oder Schmerzen haben. Oder sich fürchten müssen.
Dienstag, 3. Dezember, 21.45 Uhr
Joseph hielt den Wagen am Straßenrand vor Daphnes Haus an, und sie warteten, dass Hector und Kate ihnen das Okay für die Garage geben würden. Ihre Finger waren immer noch mit seinen verschränkt, und nur die Spannung in ihrem Griff verriet, dass sie nicht eingeschlafen war.
»Hey«, sagte er leise. »Wir sind da.«
»Ich weiß. Ich versuche nur, ›meinen Mut bis zum höchsten Grad‹ zu schrauben.«
»›Und es misslingt uns nicht‹.«
Sie schlug die Augen auf und musterte ihn neugierig. »Du zitierst Macbeth? «
»Na ja, ich kann gut auswendig lernen. Das hat mich übrigens in der Oberstufe zum Mädchenschwarm gemacht.« Das Lächeln, das er ihr auf die Lippen
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