Todeskind: Thriller (German Edition)
nickte. »Sie wollten Lösegeld und meinten, meine Familie so zu motivieren.«
O nein, dachte sie und fürchtete sich davor zu hören, was seine Frau zum Schreien gebracht hatte. »Was ist passiert?«
Er sagte nichts, sondern rollte sich auf den Rücken und zog sie mit sich. Seine Finger glitten in ihr Haar und blieben auf ihrem Hinterkopf liegen. Sie legte ihre Hand über sein Herz und fühlte sich warm und geborgen.
»Sie wollte eine große Hochzeit«, sagte er endlich. »Ich wollte bloß, dass mein Ring an ihrem Finger steckte. Wir waren beide noch im Einsatz, aber ihre Truppe war auf ein anderes Schiff beordert worden. Ich hatte wohl irgendwie das Gefühl, dass die ganze Beziehung realer wäre, wenn wir es offiziell machten. Also schlossen wir einen Kompromiss. Wir würden uns beim Feldkaplan trauen lassen, einen kurzen Urlaub für Flitterwochen nehmen und eine große kirchliche Hochzeit organisieren, wenn wir beide wieder zu Hause waren.«
»Und wohin seid ihr gefahren?«
»Nach Paris. Aber es hätte nichts geändert, wenn wir woanders Urlaub gemacht hätten. Sie war seit langer Zeit schon als Ziel anvisiert.«
»Weil sie Pilotin war?«
Seine Brust hob sich in einem einzelnen, verbitterten Schnaufen. »Weil sie meine Freundin war. Und ich war reich. Und so saublöd und naiv, dass ich glaubte, das wüsste keiner.«
Sie dachte an das, was er ihr in der Nacht zuvor erzählt hatte. Dass er es aus eigener Kraft hatte schaffen wollen. Zum Beispiel auf die Akademie. »Du hast niemandem von deiner Familie erzählt?«
»Nein. Ich wollte respektiert werden, weil … weil ich ich bin. Nicht der Sohn meines Vaters. Doch es stellte sich heraus, dass verdammt viele Leute auf dem Schiff wussten, wer mein Vater und wie groß sein Vermögen war. Einer von ihnen – ein Leutnant zur See – wollte ein paar Millionen davon haben. Er wusste, dass ich Urlaub nahm, weil er in der Verwaltung beschäftigt war und meinen Antrag bearbeitete. Und er wusste auch von Jos Antrag.«
»Und was hat er gemacht?«
»Ein paar Kerle angeheuert, die in Paris alles vorbereiteten. Wir verbrachten drei wunderschöne Tage miteinander. Ich hatte Wochen vorher schon einen Wagen reserviert, der uns zum Flughafen bringen würde, doch der Leutnant hatte die Reservierung storniert und seinen eigenen Mann geschickt, der nun als Fahrer in der Hotellobby auf uns wartete. Auf dem Weg zum Flughafen fuhr er einige Ausfahrten früher ab und überwältigte uns, indem er uns mit Drogen außer Gefecht setzte. Als ich erwachte, war es dunkel. Jo war irgendwo in einem anderen Raum und schrie. Schrie um Hilfe, schrie nach mir. Aber ich war gefesselt und konnte nichts tun. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Sie musste die Worte herauszwingen.
»Ich weiß. Einer der Entführer hielt mir einen Telefonhörer ans Ohr. Ich sollte meinem Vater sagen, dass er schnellstens das Geld herschaffen und nicht die Polizei informieren sollte. Mein Vater bestieg mit dem Geld ein Flugzeug und kontaktierte außerdem die Pariser Polizei. Einer der Kidnapper ging das Geld holen, der andere bewachte uns. Ich hatte, seit ich aufgewacht war, an den Stricken gezerrt und gerieben und stetig Fortschritte gemacht. Dann bekam unser Wächter einen Anruf von seinem Komplizen. Als er wieder auflegte, sagte er Jo, dass sie das Geld hätten, er aber noch ›einmal drüber‹ wollte. Er fiel über sie her, und ich … drehte durch. Ich war nur noch purer Hass.«
Daphne wusste nicht, was sie sagen sollte. Was sie tun sollte. Sie war ein verschrecktes Kind gewesen. Er ein Erwachsener und Jo die Frau, die er geliebt hatte. »Was hast du getan?«, flüsterte sie entsetzt.
»Ich riss und schrammte an dem Strick, bis ich mich endlich befreien konnte. Ich scheuerte mir die Haut auf, merkte es aber nicht einmal – zumindest in dem Moment nicht. Ich befreite mich von dem Strick um meine Füße und stürmte in den Nebenraum, aber es war zu spät. Er war schon fertig und machte sich gerade die Hose zu. Jo dagegen trug nur noch ihre Bluse, daran kann ich mich überdeutlich erinnern. Die Bluse war weiß gewesen. Als ich den Kerl erreichte, zielte er mit seiner Waffe auf sie. Dann sah er mich und wurde bleich. Ich warf mich auf sie, über sie, aber er zog hastig den Hahn durch, um sie zuerst zu erschießen … wahrscheinlich hatte er Angst, uns nicht beide gleichzeitig erledigen zu können. Er traf sie in die Brust.«
Plötzlich erinnerte sie sich wieder
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