Todeskind: Thriller (German Edition)
ihren Rücken und brachte ihre Haut zum Prickeln. Sie kehrte ins Bad zurück und betrachtete ihr Spiegelbild. Ihre Augen strahlten, die Wangen waren rosig. Die dunklen Schatten des Alptraums waren fort.
»Ich glaube, du hast soeben ein effektives Mittel gegen Panikattacken entdeckt, Herzchen«, murmelte sie und grinste. Aber sie war spät dran und musste sich beeilen. »Lippenstift …« Anstatt das Make-up-Täschchen zu durchwühlen, das Maggie ihr eingepackt hatte, kippte Daphne den Inhalt kurzerhand neben dem Waschbecken aus.
Und erstarrte verblüfft. Oben auf dem kleinen Berg aus Lippenstiften, Eyelinern, Lidschatten und Rouge fand sich eine antike silberne Puderdose. Sie hatte bei ihr zu Hause ganz hinten in ihrer Make-up-Schublade im Bad gelegen. In ihrer Hast, die Sachen für Daphne zu packen, hatte Maggie offenbar den ganzen Inhalt in das Täschchen gestopft.
Daphne hatte fast vergessen, dass das silberne Döschen dort war. Sie vergaß es fast immer – bis sie es einmal mehr brauchte. Oder genauer: bis sie brauchte, was sich darin befand.
Hätte sie den Beckett-Alptraum gehabt, während sie auf der Farm gewesen war, wäre die Dose das Erste gewesen, wonach sie gegriffen hätte. Nun klappte sie sie auf, nahm das klein zusammengefaltete Blatt Papier, das darinlag, heraus und entfaltete es behutsam. »West Virginia State Department of Health« lautete der Briefkopf. Das Gesundheitsamt des Bundesstaates, in dem sie damals gelebt hatte. Flüsternd las sie die erste Zeile: »Name des Verstorbenen: Wilson William Beckett.«
Das Original, das sie von Claudia Baker bekommen hatte, lag im Banksafe, aber sie hatte Kopien davon versteckt, wo immer sie schlief. In einer Perückenschachtel im Schrank bei ihr zu Hause. Im Nachttisch ihrer Stadtwohnung in einer Schachtel Tampons, wo Ford niemals nachsehen würde – und in der Puderdose auf der Farm. Wenn die Alpträume zu schlimm wurden, holte sie das Dokument hervor und machte sich klar, dass Beckett tatsächlich tot war und ihr nichts mehr antun konnte.
Aber es war gar nicht wahr. Er war nicht tot und konnte ihr sehr wohl etwas antun. Er hatte versucht, Ford zu töten.
Sie faltete das Papier wieder zusammen, steckte es in die Puderdose zurück und ließ sie in ihre Handtasche fallen. Zieh dich an und bring Joseph die Urkunde.
Donnerstag, 5. Dezember, 6.58 Uhr
Joseph schloss die Verbindungstür mit Nachdruck, blickte an sich herab und fluchte leise. Die Schwellung in seiner Hose war nur allzu deutlich.
Zu dritten Mal klopfte es draußen. »Joseph, alles okay mit dir?«, rief Deacon.
»Ja, alles bestens«, knurrte er und zerrte ein Sweatshirt aus der Sporttasche, die er auf dem Tisch hatte stehenlassen. So beiläufig wie möglich hielt er es sich vor den Körper und öffnete die Tür. Davor stand Deacon, in einer Hand eine Schachtel Doughnuts, in der anderen sein Notebook. »Du bist zwei Minuten zu früh.«
»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.« Deacon warf die Doughnuts auf den Tisch. »Dir bring ich nie wieder Frühstück mit. Wie geht’s Daphne?«
»Sie hatte einen Alptraum. Von Beckett.« Joseph beschäftigte sich mit der Kaffeemaschine, was ihm Zeit gab, sich wieder zu fassen. »Wird schon wieder. Hast du Kate heute Morgen schon gesprochen?«
»Sie ist mit Simone und Maggie gegangen, kurz bevor das Geschrei angefangen hat. Sie wollten sich auf die Suche nach Pfannkuchen machen. Mit Schokostückchen. Möglichst vielen Schokostückchen. Ich informiere sie später.«
»McManus und Kerr sollten auch bald hier sein.« Joseph sah, dass Deacon in eine Zeitung blickte. »Steht schon irgendwas auf der Titelseite?«
»Nein, noch nicht. Aber ich schätze, das wird sich bald ändern.«
»Vor allem, wenn die Reporter von Beckett erfahren.« Joseph stöhnte. »Mist. Ich hab vergessen, es ihr zu sagen.«
»Wem was zu sagen?«
»Daphne. Dass es keinen Totenschein von Beckett gibt und die FBI-Agentin, mit der sie gesprochen hat, nicht existiert.«
»Oh, verdammt. Das ändert einiges.«
»Ganz genau. Ich möchte sie damit nicht vor den anderen überrumpeln.« Joseph sah auf die Uhr. »Könntest du Grayson, Bo und Brodie anrufen? Ich muss mit ihr reden, bevor es hier losgeht.«
»Okay.«
»Daphne ist übrigens etwas eingefallen: Der Gasmann, der ihr damals unfreiwillig bei der Flucht geholfen hat, muss die Hütte kennen. Sie lag auf seiner Lieferroute.«
Deacons Augen wurden groß. »Heilige Scheiße, dass uns das nicht eher eingefallen ist! Aber das
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