Todeskind: Thriller (German Edition)
Sie war sehr streng und erlaubte mir praktisch keinen Kontakt mit der Außenwelt. Ich hatte eine Hauslehrerin und einen Hausarzt, aber das war’s.
Als Agent Baker kam, hatte ich furchtbare Angst, dass Nadine, meine Schwiegermutter, davon erfahren würde. Ich wollte sie nicht verärgern und vielleicht vor die Tür gesetzt werden. Ich war fünfzehn und schwanger, und sie hatte meinem Kind ein gutes Leben versprochen. Aber sie machte gerade ihr Mittagsschläfchen, und meine Hauslehrerin war krank, daher bekam niemand mit, wie ich an der Tür mit der FBI-Agentin sprach. Agent Baker sagte, sie wisse, wer ich bin. Sie habe die Akten durchsucht und sei auf meine Geschichte gestoßen.«
»Konnte sie erklären, wieso sie sich diese Mühe gemacht hat?«, fragte McManus.
»Angeblich hat sich mein Brief so angehört, als stecke mehr als nur ein Schulprojekt dahinter, deswegen habe sie sich ungelöste Fälle vorgenommen und sei irgendwann auf Daphne Sinclair und Kelly Montgomery gestoßen. Es sei nicht schwer gewesen, eins und eins zusammenzuzählen. Im Übrigen sähe man noch die Ähnlichkeit zu dem Zeitungsfoto von damals.«
»Klingt plausibel«, gab Bo zu.
»Danke«, sagte Daphne zuckersüß, aber Joseph ließ sich nicht täuschen. Sie war stocksauer, sich derart verteidigen zu müssen.
Und sie hat recht. »Wie ging es weiter?«, fragte er.
»Sie sagte, sie würde mich im Park treffen, wenn ich von zu Hause entwischen könnte. Als meine Lehrerin am nächsten Tag noch immer krank war, passte ich Nadines Mittagsschlaf ab und ging in den Park. Dort erzählte ich Baker die ganze Geschichte. Nannte ihr sogar Becketts Namen. Sie versprach mir, zu recherchieren, und bat mich, am folgenden Tag wieder in den Park zu kommen. Ich tat es, und sie erzählte mir, Beckett sei tot und es gäbe keinen Grund, die Sache weiterzuverfolgen.
Ich wollte ihr so gerne glauben, hatte aber Angst um meine Mutter und um das Baby in meinem Bauch. Ich wollte sicher sein, dass Beckett ihnen nichts mehr antun konnte, also kontaktierte ich das Melderegister in West Virginia. Man schickte mir ein Formular, das ich ausfüllen und per Post zurückschicken sollte. Bei meinem nächsten Treffen mit Agent Baker erzählte ich ihr, dass ich Becketts Totenschein angefordert hatte, man mir aber gesagt hätte, es könne bis zu einem Monat dauern. Sie verschaffte mir das Papier schneller, und vier Wochen danach lag dann die Kopie vom Register in der Post.«
»Haben Sie den Totenschein noch?«, fragte Bo.
»Das Original, das ich von Agent Baker bekommen habe, liegt in meinem Bankfach.« Sie öffnete ihre Handtasche, holte die silberne Puderdose heraus und entnahm ihr ein gefaltetes Stück Papier, das so zerlesen war, dass es fast auseinanderfiel. »Ich habe eine Kopie dabei.« Sie reichte das Papier Joseph.
Dieser starrte sie einen Moment lang an, bevor er den Zettel nahm. »Bo, es ist in der Tat eine Kopie eines Totenscheins. Der Name lautet Wilson Beckett, das Todesjahr ist das gleiche wie das Antragsjahr. Hier ist eine Art Siegel, das auf dem Original erhaben gewesen zu sein scheint. Der Bezirksleichenbeschauer hat unterzeichnet. Todesursache ist ein Myokardinfarkt. Beckett hatte einen Herzanfall. Sieht offiziell aus.«
Joseph reichte den Schein an McManus weiter und warf Daphne einen fragenden Blick zu, dem diese auswich.
»Wir werden den Leichenbeschauer, der das unterzeichnet hat, überprüfen«, sagte McManus, »aber ich glaube, ich kenne den Namen von anderen Dokumenten aus dieser Zeit. Warum tragen Sie eine Kopie des Totenscheins bei sich, Miss Montgomery?«
Ja, dachte Joseph. Das würde ich auch gerne wissen. Und wieso hast du nichts davon gesagt, als wir gestern darüber gesprochen haben?
Daphnes Gesicht glühte vor Verlegenheit. Den Blick auf ihre Hände gerichtet, antwortete sie: »Ich trage nicht immer eine Kopie davon bei mir. Ich leide unter Alpträumen, und in den meisten Fällen geht es darin um Beckett. Wenn ich aufwache, durchlebe ich häufig Panikattacken, manchmal auch am Tag. Um diese Attacken in den Griff zu kriegen, habe ich verschiedene Methoden entwickelt. Wenn es richtig schlimm wird, sehe ich mir den Totenschein an, um mich zu vergewissern, dass er mir nichts mehr antun kann, weil er tot ist. Zumindest bin ich bislang davon ausgegangen. Ich besitze mehrere Häuser und entscheide mich oft kurzfristig, wo ich übernachte, daher habe ich mehrere Kopien von dieser Urkunde. Auf der Farm verstecke ich sie gefaltet in dieser Puderdose.
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