Todeskleid: Thriller (German Edition)
sich diese Worte vorgebetet. Nicht durchdrehen. Und zeitweise hatte sie dabei angeschnallt auf einem Bett gelegen und sich gegen die Riemen gewehrt. Männer mit weißen Kitteln hatten ihr mit Hilfe von langen Nadeln Medikamente verabreicht. Nicht durchdrehen, hörst du?
Irgendwann hatte man die Mittel abgesetzt. Sie war nicht geisteskrank gewesen. Aber ihr Bewusstsein sei durch das Trauma gespalten worden, hatte Dr. Theopolis gesagt. Man hatte den Riss wieder kitten müssen. Doch der Kitt hatte nicht gehalten. Ich zerbreche.
Behutsam öffnete Adele die Schachtel, die sie seit dem Tag, an dem man sie ihr gegeben hatte, nicht mehr aufgemacht hatte. Eine lange, lange Weile blickte sie auf den Inhalt. Sie war geübt darin, ihre Erinnerungen unter Verschluss zu halten, aber dann und wann drang etwas hervor und erwachte brüllend und mit einer solchen Wucht zum Leben, dass es sie bis ins Mark erschütterte.
Jemand versucht, dich umzubringen, flüsterte es in ihrem Kopf; Worte, welche die Panik, man könnte ihr Allie wegnehmen, durchdrangen.
Sie nahm die kleine Plakette aus der Schachtel. »I’m a MAC«, flüsterte sie, »Loud and Proud.« Es hatte als schönster Tag ihres Lebens begonnen. Am Ende war es der schlimmste gewesen. Bis heute.
Jemand versucht, dich umzubringen. Darren hatte ihr geglaubt, zumindest diesen Teil. Vielleicht würde ihr auch jemand anders glauben. Vielleicht war es endlich an der Zeit, alles zu erzählen.
Mittwoch, 6. April, 19.35 Uhr
Paige warf Grayson am Steuer einen Blick zu. Er sprach mit Stevie Mazzetti, die die richterliche Anordnung für die Beschlagnahmung von Logans Video erhalten hatte. Mazzetti und ihr Partner waren nun auf der Suche nach Radcliffe, um das Filmmaterial an sich zu nehmen.
»Schade, dass mich gerade keiner überfällt«, murmelte Paige. »Dann wäre dieser schmierige Reporter bestimmt sofort zur Stelle.«
Grayson bedachte sie mit einem »Das ist nicht komisch«-Blick, bevor er sich wieder dem Gespräch mit dem Detective widmete, und Paige senkte den Blick auf ihr Laptop.
Sie hatte Winston Heights 1973 in die Suchmaske eingegeben, und darauf würde sie auch gleich zurückkommen. Doch zuvor, auf der Fahrt von Betsy zu Rex, hatte sie noch eine andere Suche gestartet, deren Ergebnisse gerade auf dem Bildschirm erschienen waren, als Grayson vor McClouds Gebäude gehalten hatte, weswegen sie sie nicht sofort hatte durchsehen können.
Genau das tat sie jetzt. Sie klickte auf die Ergebnisse ihrer Recherche bezüglich Judy Smith. Sie hatte gehört, wie Lisas Mann gestern Graysons Mutter beim Vornamen genannt hatte. Was praktisch war, da sie mit »Graysons Mutter« wohl nicht allzu weit gekommen wäre. Dummerweise auch nicht mit Judy Smith, wie sie nun feststellte. Es gab nicht viel, womit sie das Suchprofil einschränken konnte. Graysons Mutter lebte immer noch an derselben Adresse. Grayson war Ende dreißig. Das wusste sie aus den Zeitungsartikeln, die sie im Zuge ihrer Recherche vor Elenas Tod gelesen hatte.
Judy musste also seit der Zeit, in der das Foto von ihr und ihrem Sohn unter den Palmen aufgenommen worden war, über der Garage der Carters wohnen. Die Recherche nach Palmen ergab, dass Florida der einzige Bundesstaat auf dem Festland war, in dem Kokospalmen wuchsen, und zwar vor allem an der südlichsten Spitze. Miami.
Das klappt doch nie im Leben, dachte sie und tippte St.-Ignatius-Lehrerin-Miami mit dem Jahr ein, in dem Judy Smith über Carters Garage eingezogen war, außerdem die zwei Jahre davor.
Doch sie zögerte, als der Cursor über dem Eingabefeld schwebte. Damit würde sie Graysons Privatsphäre verletzen. Er hatte nicht gewollt, dass sie das Bild sah. Es war versteckt gewesen.
Dennoch hatte sie es gesehen, und das nicht, weil sie böswillig geschnüffelt hatte. Sie beschloss, die Suche aufgrund einer schlichten Frage zu beginnen.
Wie bist du so großartig geworden?
Sie wollte diesen Mann. Und das nicht nur fürs Bett, obwohl sich ihr Körper nach ihm sehnte. Aber da war mehr. Sie bewunderte ihn. Respektierte ihn. Und diese Kombination war ihr schon lange nicht mehr begegnet.
Also tu’s einfach. Sie hielt den Atem an und drückte »Suche starten«. Schauen wir mal, was dabei rauskommt.
Was dabei rauskam, war mehr, als sie zu finden gehofft hatte. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, aber er sprach noch immer mit Stevie, während er die Straße vor sich im Blick hielt und nicht weiter auf sie achtete.
Später. Mach es später. Aber sie konnte
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