Todeskleid: Thriller (German Edition)
schon seit Monaten nicht mehr zusammen.
»Leider hast du mich nicht zurückgerufen, obwohl ich dich darum gebeten hatte«, fuhr seine Mutter fort, »also habe ich sie angerufen und war ziemlich überrascht zu erfahren, dass ihr euch getrennt habt. Schon vor Monaten.«
»Tut mir leid, Mom.«
»Hättest du es mir überhaupt jemals gesagt?« Sie klang gekränkt, was er ihr nicht verübeln konnte.
»Natürlich hätte ich das. Ich habe nur irgendwie nie den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden.« Es klang wie eine schwache Ausrede, das wusste er.
»Warum habt ihr euch denn getrennt?«, fragte sie. »Ich hatte gedacht, es würde ernster mit euch.«
Das hatte Carly wohl auch gedacht. Voller Unbehagen rutschte er auf seinem Sitz herum. »Mom.«
»Spar dir das ›Mom‹«, erwiderte sie scharf. »Ich habe Carly selbst gefragt.«
Abrupt setzte er sich auf und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. »Dazu hattest du kein Recht.«
»Sie sagte, sie habe dich verlassen, weil du nur deine Arbeit kennst. Sie habe nicht die zweite Geige nach deinem Job spielen wollen.«
»Ja, das stimmt.« So machte er es immer. Er sorgte dafür, dass sich seine Freundinnen vernachlässigt fühlten, damit sie gingen. Sie verließen ihn, ohne dass er sie in ihrer Würde verletzt hatte, das war das Einfachste für ihn.
»Das traf bisher auf jede Frau zu, die du kennengelernt hast«, sagte sie.
»Mom«, erwiderte er warnend. »Das ist nicht deine Sache.«
»Du hast es ihr nicht gesagt, richtig? Carly. Du hast ihr nichts gesagt.«
»Natürlich nicht.«
»Sie war eine so nette Frau, aber du hast sie einfach vergrault, wie all die anderen.«
»Es war nur zu ihrem Besten.«
»So ein Quatsch!«, fauchte sie, was ihn überraschte. »Du hast doppelt und dreifach bewiesen, dass du nicht bist wie er. Er kann dir nichts mehr tun. Eine Frau, die nicht akzeptiert, wer du bist, hat dich nicht verdient, aber du tust keiner einen Gefallen, wenn sie nicht einmal die Chance bekommt, eine Entscheidung zu treffen.«
»Ich kann das Risiko nicht eingehen«, erklärte er ruhig.
»Was für ein Risiko? Niemand ist hinter dir her. Nicht mehr.«
»Das hat damit nichts zu tun.« Doch das stimmte nicht ganz.
»Du glaubst, dass jeder, der Bescheid weiß, dich plötzlich weniger respektiert, weil er dich automatisch mit ihm vergleichen würde, aber das stimmt nicht. Niemand tut das, nur du selbst. Willst du wirklich noch länger für die Sünden eines anderen zahlen?«
Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, also sagte er gar nichts.
Schließlich seufzte sie. »Tut mir leid. Ich hätte dich nicht so anfahren sollen.«
»Schon gut.«
»Nein, nicht schon gut. Es war wichtig, dass ich dir das einmal sage, ich hätte mich nur anders ausdrücken können. Manchmal überlege ich, wie alles gekommen wäre, wenn ich nicht mit dir geflohen wäre. Wenn ich dir niemals solche Angst eingejagt hätte.«
Dann wären wir jetzt tot, dachte er. »Ich weiß, dass du dir nur das Beste für mich wünschst.«
»Ich will vor allem, dass du eine Familie gründest. Und das willst du dir einfach nicht zugestehen.«
»Es tut mir leid, Mom«, war alles, was er dazu sagen konnte.
»Das sollte es nicht. Bring einfach deine Samariterin mit.«
Er spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. »Du musst mir aber versprechen, dass du ihr nichts sagst.«
»Okay, versprochen. Morgen Abend um acht. Binde dir eine Krawatte um.«
»Na gut.« Er entspannte sich ein wenig, aber wirklich nur ein wenig. Seine Mutter war eine Frau mit einer nur schlecht verschleierten Mission: ihn unter die Haube zu bringen, bevor er vierzig war. Er hatte sein ganzes Leben danach gestrebt, sie stolz zu machen, sie nicht zu enttäuschen und zu beweisen, dass er ein guter Mann war, doch in dieser einen Sache musste er sie enttäuschen.
Er blickte zu Paige und spürte bereits, wie das schlechte Gewissen an ihm nagte. Er wollte sie. Hatte sie vom ersten Augenblick an gewollt.
Er sollte sich schleunigst aus dem Staub machen oder – besser noch! – dafür sorgen, dass sie ihn abblitzen ließ, anstatt sich Hoffnungen auf etwas Dauerhaftes zu machen. Der Gedanke daran, Paige das Herz zu brechen, bereitete ihm echtes Unbehagen.
Sie waren jetzt in Elenas Viertel. »Ich muss Schluss machen, Mom.«
»Ich liebe dich.«
»Ich dich auch. Wir sehen uns morgen.« Er unterbrach die Verbindung und verringerte das Tempo, um nach den Hausnummern zu sehen.
Das Haus der Muñoz’ war dunkel. Grayson nahm an, dass
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