Todesküste
in der Wohnung.
Große Jäger klingelte ausdauernd an der
Nachbarwohnung. Die blonde Nachbarin schien auch abwesend zu sein. Er versuchte
es mit Klopfen.
»Hallo, junge Frau. Ich bin Ihnen noch meine
Visitenkarte schuldig, um die Sie mich gebeten haben«, rief er. Dann legte er
sein Ohr gegen das Türblatt. »Psst«, raunte er Lüder zu. Einen Moment später
stellte er fest: »Die Frau ist in der Wohnung.« Er klopfte erneut. »Ich stelle
mich jetzt so in den Hausflur, dass Sie mich sehen können. Und meinen Kollegen
ebenfalls. Es ist sehr wichtig. Würden Sie bitte die Tür öffnen? Sonst müssten
wir bei Ihrem Nachbarn das Schloss durch die Polizei öffnen lassen. Können Sie
das verantworten?«
Er ging zwei Schritte zurück, und Lüder stellte sich
neben ihn. Hinter der Tür war ein leises Geräusch wahrnehmbar. Dann wurde sie
einen winzigen Spalt geöffnet, und ein Gesicht erschien.
»Ich wollte auch schon die Polizei rufen«, wisperte
die Nachbarin und wollte die Tür wieder schließen, als Große Jäger behutsam
einen Schritt in ihre Richtung machte.
»Wir sind von der Polizei«, versuchte er die Frau zu
beruhigen und hielt ihr den Dienstausweis vor den Türspalt.
»Ihr habt doch gesagt, ihr wärt Handwerker«, kam es
unsicher über ihre Lippen.
»Manchmal erzählen wir so etwas.« Große Jäger stand
jetzt dicht vor ihr. Er unterließ es, sie aufzufordern, die durch eine Kette
gesicherte Tür ganz zu öffnen. »Sie müssen keine Sorge haben. Es ist eine reine
Routineangelegenheit.«
»Das sagen die im Fernsehen auch immer. Dabei geht es
aber doch um Mord«, sagte die Frau.
Der Oberkommissar schüttelte den Kopf. »Sehen wir aus,
als wären wir bewaffnet?«
Sie musterte Große Jäger. »Nein. Aber ich habe mich
erschrocken. Da tauchte diese Gestalt auf. Mensch. Da rutscht dir aber das Herz
in die Hose. So eine grässliche Figur habe ich noch nie gesehen. Der sah wie
Frankenstein persönlich aus.«
Der Geist!, durchfuhr es Lüder. Darum hatte es Holl
eilig, mit ihnen zu sprechen. Der Mörder war hinter dem Wachmann her.
»Ist er in Holls Wohnung? Haben Sie etwas mitbekommen?
Sie sind doch sonst ein scharfer Beobachter«, mischte sich Lüder ein und
erinnerte sich, dass die Blonde den Beamten bei früheren Besuchen bereitwillig
Auskunft erteilt hatte.
»Was soll das heißen? Glauben Sie, ich häng hinter der
Tür und belausche meine Nachbarn?«, giftete die Frau zurück.
»So meint er es nicht«, besänftigte Große Jäger und
blinzelte ihr zu. »Ist Herbert noch zu Hause?« Er wählte bewusst Holls
Vornamen.
»Nee. Der ist vorhin weg.« Sie warf Lüder einen bösen
Blick zu. »Das war reiner Zufall, dass ich das mitgekriegt habe. Er ist aus
seiner Wohnung raus und hat im Treppenhaus telefoniert. ›Ich muss dringend
Herrn Schlüters sprechen‹, hat er gesagt.«
»Kann das auch Lüders gewesen sein?«, unterbrach sie
der Oberkommissar.
Sie hielt einen Moment inne, als würde sie überlegen.
»Vielleicht. So genau hörst du das ja nicht durch die Tür.«
»Und? Was hat Herbert noch gesagt?«
»Nix. Nur ›schade‹.«
»Das war alles?«
»Glaub ich. Ach – ja. Dann hat er noch was gesagt –
zum Schluss. Also! Er wollte jetzt zum Schmuggelstieg. Das soll man diesem
Schlüters oder so ausrichten.«
»Ist das eine Straße, der Schmuggelstieg?«
»Natürlich. Mit lauter kleinen schnuckeligen
Geschäften. Beim Ochsenzoll. An der Grenze nach Hamburg. Da geht Herbert öfter
hin, wenn er sich was zum Lesen kaufen will.«
»Hat der Unheimliche das auch mitbekommen?«
»Keine Ahnung. Der war ja erst danach da, als Herbert
schon weg war.«
Die beiden Beamten wandten sich zur Treppe.
»Ich melde mich noch einmal«, rief Große Jäger über
die Schulter zurück.
»Lieber nicht«, antwortete die Frau. »Morgen kommt
mein Mann von Montage zurück.«
Als sie im Auto saßen und Lüder in Eile den
Schmuggelstieg ins GPS programmierte, fluchte der Oberkommissar: »Typisch Weiber. Wenn du deine Ruhe
haben willst, hören sie nicht auf zu reden. Und wenn es einmal wichtig ist,
muss man ihnen jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«
»Macho«, lästerte Lüder und folgte den Anweisungen der
Computerstimme aus dem Bordcomputer. »Bist du sauer, weil sie dir zunächst
schöne Augen gemacht hat und nun auf die Rückkehr ihres Mannes wartet?«
»Blödsinn.«
»Ich hab einen Verdacht«, sagte Lüder und wählte sein
eigenes Mobiltelefon an, das er mit Friedjof getauscht hatte. Der junge
Bürobote war
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