Todesküste
hinunterschlingen. Soll ich im Vorhinein schildern, wie
das Gift auf das Tier wirkt?«
Lüders Nerven vibrierten. Er zwang sich, möglichst
gelassen zu wirken. Doch es wollte ihm nicht gelingen. »Hören Sie. Ihre
widerwärtigen Erpressungen und der Versuch, unschuldige Kinder oder meine
Familie mit einzubeziehen, ist so ekelhaft, dass … dass …«
Nun war es doch geschehen, dass ihm die passenden
Worte fehlten. Große Jäger sah Lüder mit weiten Augen an. Da Lüder es vermieden
hatte, den Raumlautsprecher anzuschalten, konnte er nur erahnen, wer am Telefon
war. Gelassen umrundete er den Schreibtisch, nahm Lüder den Hörer aus der Hand,
deutete an, dass Lüder auf Mithören stellen sollte, und sprach: »Hör mal zu, du
Sackgesicht. Weißt du, warum ich dich so bezeichne? Deine Schweinsnase zeichnet
sich schon deutlich ab. Und die Zipfel vom Sack haben wir auch schon in der
Hand. Jetzt müssen wir das Ding nur noch zuziehen. Dein Schwefelgestank, du
Teufel, hängt mir schon in der Nase. Und an der Tafel male ich auch schon.«
Einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen in
der Leitung. »Von Ihnen, Große Jäger, kann man nichts anderes erwarten. Sie
sind und bleiben ein Mensch außerhalb jeder Kultur.« Es klang fast wie eine
Beschwerde.
»Das muss so ein Arsch wie du von sich geben. Also: Auf der Tafel steht, dass es bald ein Sonderangebot an Gammelschinken geben
wird. Sagen wir – morgen. Dann werde ich dich greifen und dich mit nacktem
Hintern in der Pfanne braten. Und eines verspreche ich dir: Das Ganze wird
jugendfrei sein, denn alle Kinder, denen du drohst, dürfen mitlachen. Was
meinst du Kinderschänder, wenn ich den Jungs im Bau, in den wir dich einlochen
werden, stecke, dass du dich an kleinen Jungen vergangen hast? Erbtante und
Schwiegermutter darf man vergiftet haben, wenn man in den Bau kommt. Aber
Kinder? Pfui Teufel. Dir schiebt man jeden Tag ein ganzes Stück Seife in den
Hintern. Und das ist noch das harmloseste Vergnügen. An deiner Stelle würde ich
mich noch heute auf dem Dachboden aufknüpfen. Das ist sicher bequemer.«
»Hör auf, du Schwein«, schrie der Unbekannte in den
Hörer und beendete das Gespräch.
Ein breites Grinsen zeichnete sich auf dem unrasierten
Gesicht des Oberkommissars ab. Große Jäger legte den Hörer zurück und lehnte
sich fast entspannt zurück.
»Mit ein wenig Glück hilft das«, sagte er und schob
sich ganz automatisch eine Zigarette zwischen die Lippen.
Lüder ließ ihn gewähren. Der Oberkommissar brauchte
offenbar die Dosis Nikotin, um die enorme Anspannung, unter der er gestanden
hatte, abzubauen.
Lüder griff sich seine beiden Handys, das dienstliche
und das private. »Ich bin gleich zurück«, sagte er und machte sich auf der
Suche nach Friedjof.
Es dauerte eine Weile, bis er ihn in den Arbeitsräumen
der Hausdienste fand.
»Hast du einen Moment Zeit für mich?«, fragte Lüder
und bedeutete dem Büroboten, ihm auf den Flur zu folgen. »Bring dein Handy
mit.«
Kurz darauf standen sie in einer Ecke des Ganges. »Was
ist, Marshall?«, fragte Friedjof.
»Ich brauche deine Hilfe, Friedhof, und ernenne dich
offiziell zum Hilfssheriff.«
»Klar doch. Was soll ich tun?« Friedjof rieb sich
erwartungsfroh die Hände.
Lüder reichte ihm seine beiden Handys. »Telefonieren.
Und zwar von beiden Apparaten. Möglichst oft und lange. Und dabei ganz viel
erzählen. Von Holstein Kiel. Abseits. Elfmetern. Blumenpflücken. Und als Erstes
rufst du diese Nummer an.« Lüder reichte Friedjof eine Visitenkarte von Horst
Schönberg. »Das ist ein anderer Freund von mir.« Bei »anderer Freund« zog ein
Strahlen über das Antlitz des jungen Mannes. »Den rufst du als Erstes an, und
dann philosophiert ihr beide über ›Rotkäppchen und der Wolf‹. Klar?«
Friedjof sah Lüder mit weit geöffneten Augen an.
»Willst du mich verarschen?«
»Nein! Horst werde ich informieren. Das Ganze ist mir
sehr ernst. Stellt gemeinsame Überlegungen an, wie das Märchen ausgegangen
wäre, wenn ein Vertreter vom Tierschutz mitgespielt hätte. Was wäre passiert, wenn
der Wolf Vegetarier gewesen wäre oder wegen eines Leberschadens keinen Rotwein
hätte trinken dürfen. Und all solchen Blödsinn. Je dümmer und ausgefallener,
umso besser ist es. Scheu dich nicht, den größten Quatsch zu erzählen.«
»Und was soll das?«, fragte Friedjof erstaunt.
»Vertrau mir einfach. Ich werde dich später einweihen.
Und vergiss nicht, deine Freunde anzurufen. Hab keine Hemmungen. Du
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