Todesküste
größte
Deutschlands gilt und auf dem viele fleißige Hände damit beschäftigt waren, die
Stände des Heider Marktfriedens abzubauen. An der Kreuzung, an der sich auch
die Heider Polizei befand, bog er Richtung Meldorf ab. Ein paar Kilometer
hinter Heide lag die einzige Erdölraffinerie des Landes mit ihren großen Tanks
und den für Laien verwirrend aussehendem Durcheinander von Rohren und
Leitungen, Türmen und technischen Anlagen.
Kurz darauf sah er den Turm der St.-Johannis-Kirche,
die weit die Marsch überragte. Lüder bog von der Bundesstraße ab und
schlängelte sich über das Kopfsteinpflaster bis zum Parkplatz am Fuße der
spätgotischen Backsteinbasilika, die unübersehbar der Mittelpunkt des
historischen Stadtkerns war. Direkt am Dom lag auch das Gebäude der
Polizeizentralstation. Lüder fand einen Parkplatz an der Kirche, umrundete
Meldorfs Wahrzeichen und überquerte den Marktplatz, dessen Rand von hübschen
Giebelhäusern gesäumt wurde. Inmitten dieses Ensembles fand er das Café. Es war
im Inneren genau in dem Maße plüschig, dass es eine anheimelnde Atmosphäre
vermittelte, ohne dabei verstaubt zu wirken. Lüder überraschte, wie gut es um diese
Zeit gefüllt war. Ältere Leute und Schüler belegten die Tische. In der Ecke sah
er zwei Männer, die ihn auch bemerkt hatten. Einer nickte ihm zu. Als er sich
dem Platz näherte, standen die beiden auf.
»Sie sind der Kollege aus Kiel? Markus Schwälm.« Der
Hauptkommissar hatte einen sympathisch festen Händedruck. »Friedhelm Bongers
aus meinem Team«, stellte er den zweiten Mann vor.
Lüder nahm Platz.
»Was führt den Staatsschutz nach Dithmarschen?«,
fragte Schwälm.
»Ein Routinefall. Es geht um den Verdacht der
Volksverhetzung.«
»Können Sie einen Namen nennen?«
»Silvio Merseburger aus Wichelwisch.«
Die beiden Itzehoer Beamten wechselten einen raschen
Blick. »Der Name sagt uns etwas. Ist nach unserer Auffassung ein
Möchtegern-Mitläufer der rechten Szene, der selbst dort nicht wohlgelitten ist.
Wir schenken ihm keine große Aufmerksamkeit.«
»Wenn ich mich richtig erinnere«, ergänzte Bongers,
»ist er keine große Leuchte.«
»Das ist schon eine sehr großzügige Umschreibung«,
schob Schwälm nach. »Aber deshalb wollten wir sicher nicht miteinander
sprechen.«
»Mich interessiert das Geheimnis um den Toten aus
Heide.«
»Wollen Sie den Fall übernehmen?«, antwortete Schwälm
mit einer Gegenfrage.
»Nein«, sagte Lüder schmunzelnd. Er wusste um die
kleinen Eifersüchteleien der Dienststellen untereinander, wenn irgendwo der
Verdacht keimte, ein anderes Kommissariat würde sich einmischen wollen.
Insbesondere das Landeskriminalamt, für das Lüder tätig war, wurde von den
Polizeibehörden im Land mit Argusaugen beobachtet.
»Weshalb hat der Pathologe Sie dazugerufen?« Schwälm
war immer noch misstrauisch.
»Wir haben einen guten Draht zueinander. Und dem Arzt
erschien es rätselhaft, dass jemand mit einem Sandklumpen – wie er es nannte –
erschossen wurde.«
»Haben Sie eine Erklärung dafür?«
Lüder schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Aber sie
würde mich interessieren.«
»Weshalb?«, mischte sich Bongers ein.
Lüder nahm beide Hände hoch und hielt die Handflächen
links und rechts der Augen an die Stirn. »Weil ich nicht mit Scheuklappen durch
die Welt laufe. Meine Familie würde sonst jeden Respekt vor mir verlieren, wenn
ich dazu auch noch begänne, wie ein Pferd zu wiehern.«
Schwälm lachte auf, und Bongers stimmte ein.
»Schön«, sagte der Hauptkommissar. »Aber viel ist es
nicht, was wir bisher ermittelt haben.« Er berichtete über die Ergebnisse der
Tatortbesichtigung und darüber, dass man keine Spuren finden konnte. »Auch
keine Patronenhülse.« Dann erzählte er vom Besuch im Hause Meiners und von der
Begegnung mit der Schwiegermutter. »Unser erster Eindruck ist, dass es sich um
eine ganz biedere Durchschnittsfamilie handelt. Dafür sprechen auch unsere
weiteren Erkundigungen. Steffen Meiners war ein überaus häuslicher Mensch. Mit
seiner Frau ging er alle zwei Wochen zum Kegeln. In dem Klub mit dem schönen
Namen ›Smiet um‹, in dem seit vielen Jahren miteinander bekannte Ehepaare
zusammentreffen, war er Schriftführer. Das war sein einziges Engagement
außerhalb der Familie. Er ist in keinem anderen Verein, nicht im Kirchenvorstand
oder Dorfverschönerungsverein, nicht in irgendeiner Partei. Doch – warten Sie.
Er ist Mitglied in der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie,
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