Todesküste
›Franchible‹
vertrieben.«
»Also ein deutsches Produkt?«
»Nun tun Sie nicht so überrascht. Deutschland ist
eines der innovativsten Länder, wenn es um die Entwicklung neuer Waffen- und
Kriegstechnologien geht.«
»Ich möchte auch keine moralischen Bedenken anmelden«,
warf Lüder ein. »Mich interessiert nur der technische Hintergrund.«
»Die Idee hinter dieser Entwicklung war ursprünglich,
sie als Übungsmunition einzusetzen. Wenn das Geschoss auf dem Schießstand gegen
die Betonmauer prallt, zerlegt es sich. Sie müssen dann nur noch ein wenig
Staub zusammenfegen und sparen sich das Einsammeln der Bleikugeln.«
»Und weshalb wurde diese Idee nicht in die Tat
umgesetzt?«
»Sie stehen selbst vor dem Problem, dass Sie bei
dieser Munition keine Spuren finden, wenn der Täter die Patronenhülse nicht am
Tatort liegen lässt. Deshalb gibt es keine Zulassung für die Patrone. Weder für
Privatleute noch für die deutsche Polizei , obwohl sie sich für spezielle
Lagen besonders gut eignen würde. Denken Sie zum Beispiel an
Flugzeugentführungen, Schusswaffengebrauch auf Tankstellen oder an anderen
gefährlichen Orten oder bei Geiselnahmen.«
Dr. Brauns Erläuterungen leuchteten ein. Solche Spezialmunition
würde in falschen Händen fatale Folgen haben.
»Sie haben eben die ›Polizei‹ besonders betont.«
»Richtig. Sie darf diese Munition nicht einsetzen.«
»Kann ich daraus schließen, dass diese Patronen bei
anderen Diensten durchaus Verwendung finden könnten?«
Die Leiterin der Kriminaltechnik schwieg einen kleinen
Moment. »Darüber kann ich nichts sagen.«
Lüder unterließ es, sich zu bedanken. Er hatte Dr.
Brauns Hinweis verstanden und würde die neuen Erkenntnisse mit Kriminaldirektor
Nathusius erörtern.
»Beide Opfer wurden in einer bestimmten Weise
erschossen. Der Täter zielte auf den Bauchraum, kurz unterhalb des Magens. Gibt
es dafür eine Erklärung?«
»Man könnte es sich zusammenreimen. Das stärkste
Kaliber, für das die Franchible produziert wird, ist die Punkt fünfzig mit
zwölf Komma fünf Millimetern. Wir sollten aber davon ausgehen, dass in unseren
Fällen neun Millimeter Luger verwandt wurden.«
»Wie kommen Sie darauf? Es könnte doch auch die
Parabellum sein?«
»Beide haben die gleichen Abmessungen und sind
äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden«, bestätigte Dr. Braun. »Die Luger
ist allerdings von ihrer Laborierung stark unterladen und wurde speziell für
die Nullacht entwickelt.«
»Das ist die Pistole mit dem Kniegelenkverschluss?«,
fragte Lüder.
»Ja. Die verträgt keine starken Ladungen.
Medienbeschüsse haben ergeben, dass das Kaliber einen
Zwanzig-Liter-Plastikkanister mit Wasser nicht durchschlägt, sondern stark
abgebremst wird. Vermutlich sieht das Resultat im menschlichen Körper ähnlich
aus. Bei Auftreffen auf Knochen zerlegt sich das Geschoss mit Sicherheit. Die
Durchschlagkraft ist einerseits stark von Geschossgewicht, Geschossform,
Geschossmaterial und Geschossgeschwindigkeit abhängig.«
»Das ist ja teuflisch. Die Kombination aus Unterladung
und der speziellen Patrone gestattet es dem Täter, sich dem Opfer zu nähern,
ihm tödliche Verletzungen beizubringen, ohne dass die Gefahr eines
Durchschusses besteht und andere Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden.«
»Sie haben in diesem Satz vieles zusammengefasst, was
diese beiden Morde von anderen unterscheidet. Die Schlussfolgerungen überlasse
ich Ihnen.«
»Ich bin erstaunt, welch neue Erkenntnisse Sie mir
wieder vermitteln konnten«, sagte Lüder.
»Dazu hat ganz wesentlich Herr Rahlfs, unser
Waffenexperte, beigetragen«, stapelte Dr. Braun tief.
Nach dem Telefonat saß Lüder eine Weile nachdenklich
an seinem Schreibtisch. Aus dem, was ihm die Wissenschaftlerin erzählt hatte,
ließen sich noch keine schlüssigen Zusammenhänge zwischen beiden Morden
herstellen. Warum wurden ein unbescholtener und völlig unauffälliger
Familienvater und ein Farbiger, bei dem man sich Mühe gemacht hatte, die
Identität zu verbergen, auf die gleiche merkwürdige Weise erschossen? Und die
Art der verwendeten Munition deutete auf alles andere als gewöhnliche
Kriminelle hin.
Lüder suchte Nathusius auf und berichtete dem
Kriminaldirektor von den bisherigen Erkenntnissen.
Der Leiter des polizeilichen Staatsschutzes wiegte
nachdenklich den Kopf, als Lüder mit seiner Darstellung schloss. »Ich stimme
Ihnen zu. Es scheint keine Zusammenhänge zwischen den beiden Opfern zu geben.
Wenn wir
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