Todesküste
unserer Fantasie freien Lauf lassen, dann sind der oder die Täter
einem organisierten Umfeld zuzuordnen, das die Morde überlegt und geplant
ausgeführt hat. Es gehört sehr viel Kaltblütigkeit dazu, jemanden inmitten
eines Menschengewimmels auf einem Volksfest zu erschießen. Und auch in der
Husumer Kirche waren die Täter nicht vor Überraschungen sicher. Ich mag mir
nicht vorstellen, wie sie reagiert hätten, wenn sie bei ihrer Tat zufällig
durch harmlose Besucher überrascht worden wären.«
»Wenn wir von der verwendeten Munition ausgehen,
schränkt sich der Kreis der Täter auf bestimmte Gruppierungen ein. Das kann in
den Bereich der organisierten Kriminalität fallen, aber auch einen politisch
motivierten Hintergrund haben.«
»Sie wollen mit Ihrer Vermutung andeuten, dass auch
Nachrichtendienste und das Militär Zugang dazu haben?«
»Vielleicht finden die Franchible-Patronen bei den
konventionellen Einheiten der Bundeswehr keine Verwendung. Was aber in den
verschwiegenen und undurchschaubaren Einheiten wie dem Kommando Spezialkräfte
oder anderen Sondereinheiten geschieht, entzieht sich unserer Kenntnis. Und die
Einsätze deutscher Soldaten sind sicher transparenter als die anderer Mächte«,
sagte Lüder.
»Wobei im Waffengeschäft nicht auszuschließen ist,
dass die Munition auch von Leuten bezogen wird, die sie sich über
undurchsichtige Kanäle beschaffen.«
»Das erklärt aber immer noch nicht, weshalb Steffen
Meiners das erste Opfer war. Ich sehe bei allem, was wir bisher über den Mann
zusammengetragen haben, keine Verbindung zu den Kreisen, denen wir eine solche
Vorgehensweise beim Dahinmeucheln von Menschen zutrauen.«
»Wir sollten uns nicht nur auf die sicher gründlichen
Ermittlungen der örtlichen Mordkommissionen stützen. Vielleicht hat Meiners ein
Vorleben, das so gut getarnt ist, dass es bisher unentdeckt blieb«, sagte
Nathusius. »Es macht keinen Sinn, das Risiko einer Entdeckung auf sich zu
nehmen und mitten in Heide einen harmlosen Bürger zu töten.«
Lüder pflichtete dem bei.
»Ich weiß den Fall bei Ihnen in besten Händen«,
schloss der Kriminaldirektor die Unterredung.
Lüder kehrte in sein Büro zurück und begann mit der
Formulierung von offiziellen Anfragen nach der Verwendung von oder Kenntnis um
die Anwendung von Franchible-Munition. Er schrieb an das Bundesamt für
Verfassungsschutz in Köln und den BND in Pullach, das BKA in Wiesbaden
und den MAD , den Militärischen
Abschirmdienst der Bundeswehr, der in Kiel eine Außenstelle unterhielt. Das
Bundesverteidigungsministerium, das immer noch in Bonn und nicht in der
Hauptstadt residierte, hatte er ebenso einbezogen wie den Hersteller der
Munition. Von den Landesämtern für Verfassungsschutz wollte er wissen, ob man
dort über Erkenntnisse über Gruppierungen verfügte, die vor Gewalttaten gegen
Menschen nicht zurückschreckten und Zugriff auf diese Patronen haben könnten.
Lüder war sich bewusst, dass die Erkundigungen heikel
waren. Natürlich war es unbestritten die Aufgabe der Polizei, Tötungsdelikte
aufzuklären. Und auch der Staatsschutz gehörte zum Auftrag der Polizei.
Trotzdem tummelten sich in diesem Umfeld andere Behörden und Organe, deren
Tätigkeitsfeld nicht allein vom Strafrecht bestimmt wurde, sondern in deren
Aktivitäten auch politische Überlegungen einflossen. Aber das hielt ihn nicht
davon ab, seine Energie in die Aufklärung perfider Morde zu konzentrieren.
Für ihn war es eine willkommene Abwechslung, als sein
Telefon klingelte.
»Ich bin überrascht, Sie noch auf der Dienststelle
anzutreffen«, meldete sich Frau Dr. Braun.
»Wir haben Urlaubszeit, und manch fürsorglicher
Kollege ist mit der Familie in den Ferien. Bei der ausgedünnten Belegschaft
kommt es vor, dass man den Feierabend verschläft, weil die Mitarbeiter, die
sonst den Weckdienst übernehmen, nicht präsent sind«, erklärte Lüder. »Aber
dank Ihnen muss ich nun doch nicht die ganze Nacht hier verbringen.«
»Bei Ihrer pathologischen Neugierde sind Sie sicher
daran interessiert, welche Ergebnisse die Spurenanalyse beim unbekannten Toten
aus Husum erbracht hat.«
»Das finde ich großartig, dass Sie an mich denken.«
»Wenn ich mich nicht melde, behelligen Sie uns doch
wieder ungefragt. Zur Todesursache muss ich nichts weiter ausführen. Daher
beschränke ich mich darauf, dass wir im Blut des Mannes Spuren von Heroin
gefunden haben. Er war sicher nicht hochgradig abhängig, hat aber regelmäßig
geschnupft. Diese
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