Todesküste
Verwalter. Ich werde der Sache nachgehen.«
»Moment«, bat Lüder. »Ich wäre gern dabei. Warten Sie
bitte, bis ich in Husum bin. Dann sehen wir es uns gemeinsam an.«
»Wenn’s denn sein muss«, knurrte Große Jäger und legte
auf.
Lüder wählte die Autobahn über Rendsburg bis Schleswig
und durchquerte von dort auf der Bundesstraße das Land.
Große Jäger saß an seinem Schreibtisch und sah auf,
als Lüder das Büro betrat. Statt einer Begrüßung wies der Oberkommissar mit
seiner glimmenden Zigarette auf den gegenüberliegenden Schreibtisch und fragte: »Auch ‘nen Kaffee?«
Ohne die Antwort abzuwarten, stand er auf und verließ
den Raum. Kurz darauf kehrte er mit einem Becher zurück und stellte ihn vor
Lüder ab.
»Ist schwarz. Zutaten habe ich nicht gefunden.« Er
ließ sich ächzend in seinen Schreibtischsessel fallen, nahm sein eigenes
Trinkgefäß und hielt es auf Brusthöhe Lüder entgegen. »Skål« , sagte er
und nahm schlürfend einen Schluck.
Lüder trank ebenfalls. Das Gebräu war heiß und
kräftig.
Nachdem Große Jäger den Becher wieder abgestellt und
in aller Ruhe zwei tiefe Züge aus seiner Zigarette genommen hatte, drückte er
die Kippe im überquellenden Aschenbecher aus.
»Friedrichstraße«, sagte er.
Ohne weitere Erklärungen verstand Lüder, dass die
Wandschmiererei in einer Straße dieses Namens aufgefunden worden war. Deshalb
unterdrückte er eine Antwort, während ihn der Oberkommissar aufmerksam
musterte. An Große Jägers leicht hochgezogener Augenbraue erkannte Lüder, dass
er die erste Prüfung bestanden hatte.
Große Jäger zeigte auf das Telefon. »Ich habe mich
inzwischen erkundigt. Ist nicht.«
Auch hierzu schwieg Lüder. Der Oberkommissar wollte
ihm damit erklären, dass er, nachdem er die Adresse kannte, bei der
Meldebehörde angefragt hatte. Dort war kein Bewohner ausländischer Herkunft
eingetragen.
Lüder trank bedächtig seinen Kaffee aus, während er
Große Jäger von der Tätowierung des Toten und der mutmaßlichen Bedeutung
erzählte. Nachdem er geendet hatte, stand der Oberkommissar auf und ging ohne
Erklärung zur Tür. Lüder folgte ihm durch den Hinterausgang zum Parkplatz. Sie
stiegen in einen alten grauen Ford-Kombi und verließen das Gelände der
Polizeidirektion nach rechts. Nach wenigen Metern bog Große Jäger ab und
unterquerte die Bahnstrecke nach Westerland. Es waren vielleicht zweihundert
weitere Meter, als er in eine abzweigende Straße einbog und auf dem Gehweg
parkte.
Auf der anderen Straßenseite an der Mauer eines etwas
zurückliegenden Rotklinkerhauses sah Lüder das Graffiti: »Scheiß-Niger« war
dort in weißer Farbe aufgesprüht.
Sie waren ausgestiegen, und der Oberkommissar
überquerte die Straße, indem er einem sich nähernden Fahrzeug durch Zeigen der
Handfläche Halt gebot.
»Das sind aber keine rassistischen Parolen«, bemerkte
Lüder. »Die dünn besiedelte Republik Niger liegt in Westafrika. Große Teile
sind Wüste. Wer sollte etwas gegen dieses Land haben?«
Große Jäger schenkte ihm nur einen Seitenblick.
»Selbst ein Blöder weiß, wie Neger geschrieben wird.
Ich vermute aber, jemand wollte ›Nigger‹ schreiben.« Er zeigte auf die
beschmierte Wand. »Wer so etwas macht, ist wahrscheinlich zu dumm, um selbst
das zu wissen.«
Über die Rasenfläche kam ihnen ein Mann in einer durch
Träger gehaltenen Cordhose entgegen.
»Sind Sie von der Zeitung?«, fragte er, schenkte Große
Jäger einen Blick und entschloss sich, mit Lüder zu sprechen.
»Polizei«, antwortete der Oberkommissar. »Und wer sind
Sie?«
»Rothers. Ich bin der Hausverwalter. Na ja, eigentlich
mehr der Hausmeister. Ich kümmere mich um alles. So ein bisschen nebenbei.«
»Und Sie haben Anzeige erstattet?«
Rothers sah Große Jäger aus weit aufgerissenen Augen
an. »Wer? Ich?«
»Das ist doch immer das Gleiche«, erwiderte der
Oberkommissar mit gespielt entrüsteter Stimme. »Diese missliebigen Nachbarn
verleumden einen mit anonymen Anzeigen.« Dabei schlug Große Jäger mit der
geballten rechten Faust in die linke Handfläche.
»Ist wohl wahr«, sagte Rothers und drehte sich halb
um. »Das da – das krieg ich schon weg.«
»Ist nur zu dumm, dass ihr hier an der Einfallstraße
wohnt. Jeder, der aus Richtung Süden kommt, fährt hier vorbei und hat das
gesehen. Und nun hat sich einer beschwert.«
»Wer?«, fragte Rothers.
»Der Präsident der Republik Niger. Er hat das nicht so
gern, wenn sein Land auf diese Weise verunglimpft
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