Todesküste
Hemmungen hatte, Heroin zu konsumieren«,
ergänzte Große Jäger. »Was ist mit unserem Besuch bei den Arabern in
Norderstedt?«
»Jacksons Eltern sind wichtiger. Dieser Kulturverein
läuft uns bis morgen nicht davon«, entschied Lüder.
Vom Polizeizentrum Eichhof bis zur Stadtautobahn waren
es nur wenige Meter, und die Autobahn bis zum Bordesholmer Dreieck ließ sich
schnell bewältigen. Um Neumünster wurde es, wie immer, voller, und Lüder musste
die Geschwindigkeit dem Fluss der links fahrenden Pkw-Schlange anpassen, da die
rechte Spur durch die skandinavischen Lastkraftwagen in Beschlag genommen
wurde.
Sie hatten während der Fahrt kaum ein Wort gewechselt,
und als Lüder bei Großenaspe wieder beschleunigen konnte, hörte er vom
Beifahrersitz gleichmäßige Töne. Große Jägers Kopf war gegen die Seitenscheibe
gefallen, der Mund war ein wenig geöffnet, und die Nasenflügel vibrierten
leicht beim Ausatmen.
Als sie sich Hamburg näherten, verdichtete sich der
Verkehr. Große Jäger schreckte hoch, als Lüder in Schnelsen-Nord den
Rechtsbogen fuhr und von der Autobahn abbog. Dank der in den letzten Jahren gut
ausgebauten Straße und der Beseitigung des früheren Engpasses Krohnstieg fuhren
sie kurz darauf das den Anforderungen eines modernen Airports angepasste Areal
von Fuhlsbüttel an. Der Wegweiser führte sie ins Parkhaus vier, und nach
wenigen Schritten standen sie in der futuristisch anmutenden Halle des
Terminals eins.
Da Große Jäger den genauen Flugplan von Jacksons
Eltern nicht kannte, zog Lüder weitere Erkundigungen ein. Die Verbindung von
Washington führte zu einer Zwischenlandung in Newark/New Jersey. Vom Airport
nahe New York verband Continental regelmäßig die neue Welt mit der Metropole
Hamburg.
»Wir müssen nach unten«, sagte Lüder und fuhr mit der
Rolltreppe zum Ankunftsbereich hinab. Bis zum Eintreffen des Airbus hatten sie
noch eine gute halbe Stunde Zeit. Große Jäger lotste Lüder in ein kleines
Bistro und genoss ein frisch gezapftes Bier, während Lüder es bei Mineralwasser
beließ. Der Oberkommissar machte den Eindruck, als hätte er gern noch ein
weiteres Bier zu sich genommen, aber Lüders Anwesenheit hielt ihn davon ab.
Nachdem die Maschine aus Übersee auf dem großen Display
als »gelandet« angezeigt war, stellten sie sich zu den anderen Wartenden, die
gespannt der Begegnung mit den Reisenden entgegenfieberten. Endlich tauchten
die Ersten auf. Zwei grau melierte Männer im Businessdress waren mit nur
leichtem Gepäck ausgestattet und verschwanden schnell, ins Gespräch vertieft.
Es sah aus, als hätten die beiden ihren Arbeitstag jenseits des Atlantiks
zugebracht und die Ankunft in Hamburg hätte für sie die gleiche Bedeutung wie
für andere Arbeitnehmer das Erreichen des abendlichen Zielbahnhofs der S-Bahn.
Eine aparte junge Frau, die einen Kofferkuli schob,
wurde von einem gut gekleideten Mann empfangen, der ihr eine einzelne langstielige Rose überreichte und dafür mit einer innigen Umarmung belohnt
wurde. Nur mit Mühe konnte ein Elternpaar zwei noch nicht schulpflichtige
Kinder bändigen, die mit lauten »Omi! Omi!«-Rufen auf eine strahlende ältere
Frau losstürmten. Nach zwei Ehepaaren im mittleren Alter, die offenbar zum
Shopping an der Fifth Avenue gewesen waren, wurde es laut, als ein geselliger
Kegelklub, der dem Bordausschank tüchtig zugesprochen hatte, durchs Gate kam.
Ihnen folgten mit staunendem Kopfschütteln unsicher auftretende amerikanische
Touristen, dann eine Abordnung wichtig aussehender Leute, unter denen Lüder zwei
aus den politischen Nachrichten bekannte Gesichter ausmachte, und, nach einer
kleinen Pause, eine Gruppe Japaner, von denen der Erste gleich nach dem
Verlassen des Ausgangs allen Vorurteilen gerecht wurde, sein Gepäck abstellte
und zur Digitalkamera griff. Danach verebbte der Strom der Reisenden. Langsam
löste sich auch das Knäuel auf, das sich aus Ankommenden und Wartenden gebildet
hatte, und Lüder stand mit Große Jäger ziemlich verlassen vor der japanischen
Reisegruppe. Als sich der erste asiatische Tourist in Richtung der beiden
Polizisten in Bewegung setzte, zupfte der Oberkommissar Lüder energisch am
Ärmel. »Kommen Sie.«
Rasch tauchten die beiden in der Menge des
bienenstockgleichen Gewusels unter.
»Da war niemand drunter, der wie die Jacksons aussah«,
stellte Lüder fest.
Große Jäger grinste. »Vielleicht war das ein
Missverständnis, und die vielen Japaner waren Verwandte von dem Itzehoer
Mordopfer.«
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