Todesküste
und der Junge war gefesselt. Erstaunt blickte Jonas
auf die stählerne Acht, dann strahlte er.
»Super. Oberaffengeil.«
Große Jäger gab ihm die Hand. »Unter Kumpels sagt man
du. Ich heiße Erich.«
Lüder unterdrückte ein Grinsen. Er verstand zu gut,
dass sich der Oberkommissar bei Jonas nicht als »Wilderich« vorstellte. Jonas
hätte den Rest des Abends Gefallen daran gefunden, Große Jäger mit seinem für
kindliches Verständnis unmöglichen Vornamen aufzuziehen.
Der Junge war schon wieder im Haus verschwunden und
rief lautstark den Rest der Familie zusammen, um seine gefesselten Hände zu präsentieren.
Aus dem Hintergrund tauchte Margit auf, Sinje auf dem Arm tragend. Während die
Kleine beide Arme nach ihrem Vater ausstreckte, musterte ihre Mutter für einen
Moment Große Jäger. Obwohl sie sich alle Mühe gab, gelang es ihr nicht, einen
Hauch von Entsetzen zu verbergen. Zögerlich gab sie ihm die Hand.
»Dreesen«, stellte sie sich vor.
Der Oberkommissar griff beherzt zu. »Das finde ich
aber mutig. Sie haben nach der Heirat Ihren Mädchennamen behalten.«
»Nun – ja. Das ist so … Wir haben noch keine Zeit
gefunden, zum Standesamt zu gehen«, druckste Lüder herum.
»Ich auch nicht«, lachte Große Jäger und rieb sich den
Bauch. »Vielen Dank für die Einladung. Ich mach jetzt das, was wir von unseren
Kunden am liebsten hören: Ich gestehe, dass ich hungrig bin und Durst habe.«
Margit sah am Oberkommissar vorbei aus dem Fenster.
»Bei dem Wetter sollten wir grillen.«
»Oh, geil«, mischte sich Jonas ein und hielt Große
Jäger seine Hände hin. »Kannst du die wieder abmachen?«
Die nächste Stunde verbrachten die beiden Polizisten
auf der Terrasse. Während Lüder immer wieder durch Sinje abgelenkt wurde, hatte
Jonas einen Stuhl ganz nahe an Große Jäger herangezogen und lauschte den
abenteuerlichen Erzählungen von wilden Verbrecherjagden an der Westküste, wobei
wahrscheinlich nur Lüder, der kommentarlos lauschte, auffiel, dass die Zeit der
großen Piratenüberfälle schon lange Vergangenheit war und Große Jäger auch
nicht maßgeblich an der Verhaftung Klaus Störtebekers beteiligt gewesen sein
konnte. Doch das irritierte weder Jonas noch Viveka oder Thorolf, die sich
zunächst mit geringschätziger Miene dazugesellt hatten und sich schwer
enttäuscht zeigten, als sie zu fortgeschrittener Stunde die fröhliche Runde auf
der Terrasse verlassen und ins Bett abtauchen mussten. Jonas störte es dabei
nicht im Geringsten, dass er sein Zimmer dem Gast überlassen musste und dafür
die ganze Nacht die Ritze zwischen Margit und Lüder in Beschlag nehmen durfte.
Es war weit nach Mitternacht und die überwiegende
Anzahl der Bierflaschen im Kasten geleert, als auch Margit ihren Frieden mit
dem durchaus sympathischen Grantler von der Westküste geschlossen hatte. Nach
dem dritten Glas Barolo hatte Lüder noch einmal sein Angebot der
Duzfreundschaft mit Große Jäger wiederholt.
NEUN
Nach einem ausführlichen Frühstück waren sie zunächst
noch einmal ins Landeskriminalamt gefahren. Während Lüder dort ein paar
Recherchen am Computer durchgeführt hatte, war Große Jäger Friedjof begegnet,
und beide hatten ihre Diskussion vom Vortag, welcher ihrer Lieblingsvereine den
besseren Fußball bot, fortgesetzt. Die beiden Kontrahenten hatten den Ort ihres
verbalen Schlagabtausches aber in die Kantine verlegt und Lüder von der
lästigen Aufgabe entbunden, auf dem Büroflur um Reduzierung auf eine
angemessene Lautstärke zu bitten.
Jetzt waren Lüder und der Oberkommissar Richtung
Norderstedt unterwegs. Der Kulturverein, auf den der BND -Mann Fritzmeier verwiesen hatte, sollte im Gewerbegebiet
Stonsdorf residieren.
»Die Einrichtung in Norderstedt ist uns bekannt«,
erklärte Lüder. »Sie wird von sunnitischen Moslems getragen.«
»Die stellen doch die Mehrheit in Afghanistan und ein
gutes Drittel im Irak«, warf Große Jäger ein.
»Vorsitzender des Vereins ist Abdullah Gücün, ein
Kurde, der schon seit einem Vierteljahrhundert in Deutschland lebt und
unbegrenztes Bleiberecht hat. Er steht unter Beobachtung des
Verfassungsschutzes. Bisher konnten ihm aber weder verfassungsfeindliche noch
terroristische Straftaten nachgewiesen werden. Es hat den Anschein, als wäre er
nur ein engagierter Vertreter der moslemischen Bevölkerung. Oder zumindest
eines Teils, da diese Gruppe in sich alles andere als homogen ist.«
»Ein Kurde?«, fragte Große Jäger nach.
»Daran habe ich auch gedacht«,
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