Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Computertomographie der Leiche durchgeführt, bevor jemand sie mit dem Messer öffnen durfte. Doch die Rechtsmedizin besaß kein eigenes Gerät. Stattdessen musste man die sorgfältig verhüllten und verschlossenen Leichen innerhalb der normalen Öffnungszeiten ins nächstgelegene Krankenhaus transportieren, um diese Art von Untersuchung durchführen zu lassen.
In diesem Fall bestand dazu jedoch kein Anlass. Das Skelett war vollständig freigelegt, wenn auch etwas mit Erde verschmiert, als Ella und Simon am nächsten Tag davorstanden und die sterblichen Überreste begutachteten. Simon hatte die bräunlich verfärbten Knochenstücke so angeordnet, dass sie einen menschlichen Körper abbildeten. Eine gelinde gesagt zeitraubende Arbeit, wenn man bedachte, dass die Knochen völlig durcheinander in einem Sack angeliefert worden waren. Gemeinsam starrten sie auf den zerbrochenen Schädel und die ausgeschlagenen Zähne in den Kieferknochen. Skelette, die längere Zeit im Boden gelegen hatten, waren oftmals spröde und verwittert, vor allem, wenn Teile davon oberhalb der Erde lagen. Doch dieses Skelett wies keine derartigen Zeichen auf. Deshalb herrschte auch kein Zweifel daran, wie die Verletzungen des Schädelknochens zu deuten sein würden.
»Mord«, sagte Simon leise.
Ella schluckte ihren beabsichtigten Kommentar herunter, dass es sich genauso gut um einen Unfall gehandelt haben könnte, den jemand aus Angst verschwiegen und stattdessen die Leiche vergraben hatte. Ein erneuter Blick auf die Kieferknochen ließ sie die Abwegigkeit einer solchen Behauptung einsehen. Jemand hatte vorsätzlich den unteren Teil des Schädelknochens zerschlagen.
Dementsprechend wiederholte sie stattdessen lediglich Simons Aussage.
»Mord.«
*
Es war Freitagmorgen. In der Küche breitete sich der Duft nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen aus, der sich mit dem schweren Herrenparfüm vermischte. Die Bohnen waren aus Brasilien, und das Parfüm hieß Aramis. Er benutzte diese Marke seit 1966. Abgesehen davon hatte er sich mit den Jahren immer extravagantere Gewohnheiten zugelegt. Obwohl er inzwischen ein vermögender Mann war, handelte es sich nicht um irgendwelche Exzesse, eher um kleine Genüsse, die ihm den Alltag versüßten. Wenn er Schokolade aß, so durfte es gerne die beste sein, befand er. Nach einer erfolgreichen Karriere lebte er ein privilegiertes Leben. Exklusive Schokolade und direkt importierter Kaffee beeinträchtigten seine Finanzen nicht.
Seiner Gewohnheit gemäß breitete er die Morgenzeitung über den ausladenden Küchentisch aus. Er überflog die meinungsbildenden Seiten und blätterte dann weiter zu den Inlandsnachrichten. Die vergangene Woche schien ziemlich ereignislos gewesen zu sein. Die meisten Artikel handelten vom Schneechaos und von Verspätungen im Regionalverkehr. Als er die Zeitung schon zur Seite legen wollte, blieb sein Blick an einer kleinen Notiz im Lokalteil hängen. Es war nicht das erste Mal, dass er eine Meldung mit ähnlichem Inhalt entdeckte, doch jedes Mal verursachte es ihm aufs Neue Herzklopfen. In den Situationen zuvor hatte er nach dem Lesen des Textes einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen können. Es war immer irgendetwas, das nicht stimmte. Aber diesmal war es nicht wie sonst. Diesmal war es ernst. Der Fundort war so genau beschrieben, dass kein Zweifel herrschte.
Mit einem Krachen fiel die Kaffeetasse zu Boden, und der Kaffee spritzte über den grauen Marmorfußboden. Er fluchte im Stillen. Sie hatten die Leiche gefunden.
*
Ella loggte sich aus und schaltete den Computer ab. Es war bereits nach fünf Uhr, und sie erinnerte sich daran, dass einer der Gründe dafür, dass sie sich ausgerechnet auf dieses Fachgebiet spezialisiert hatte, in den regulären Arbeitszeiten und weniger kraftraubenden Diensten lag. Eine Beziehung zwischen zwei Ärzten mit anstrengendem Schichtdienst würde nicht zukunftstauglich sein, so hatte sie jedenfalls überlegt. Sie bereute die Wahl ihres Fachgebiets in keiner Weise, hatte jedoch einsehen müssen, dass Beziehungen, die eine stabile Basis hatten, vermutlich auch zeitintensive Jobs überstanden.
Sie parkte ihren schwarzen Toyota und ging das letzte Stück zu Fuß. Das Haus stammte aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende. Im Sommer war der Wind vom Wasser her angenehm frisch, aber im Januar war er oft harsch und ließ die ganze Gegend unwirtlich erscheinen. Das Haus mit seiner verputzten weißen Fassade, den modernen Linien und dem Fehlen schmückender
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