Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
für eine weitere Portion am nächsten Tag reichen würde. Natürlich hätte man deswegen nicht alles aufessen müssen, aber es schmeckte eben so verdammt gut.
Das Sättigungsgefühl war überwältigend und machte sie außerdem extrem müde. Mit einem Seufzer ließ sie das Geschirr in der Küche zurück und ging mit einem Glas Wasser in der Hand ins Wohnzimmer. Sie strich mit der einen Hand über die Buchrücken im Bücherregal. Sie und auch Markus kauften oft neue Bücher, fanden aber nur selten die Zeit, sie zu lesen. Nach Abschluss ihres Studiums hatte es mehrere Jahre gedauert, bis Ella wieder Lust auf einen Schmöker verspürte. Sie angelte sich ein Buch, das sie im vergangenen Sommer gekauft hatte. Nach ein paar Seiten legte sie es jedoch zur Seite. Das Buch war zwar nicht uninteressant, aber die Müdigkeit war stärker.
Bevor sie allein in dem breiten Bett einschlief, dachte sie darüber nach, wann wohl ein anderer Mann an ihrer Seite schlafen würde. Der Gedanke kam ihr absurd vor. Auch wenn sie ganz nüchtern festgestellt hatte, dass Markus nicht mehr der Richtige für sie war, empfand sie immer noch viel für ihn. Gefühle, die keinen Platz für einen anderen ließen.
*
Man hatte die Leiche also schließlich gefunden. Er hatte den Polizeiwagen, die Kriminaltechniker und schließlich auch den grauen Leichenwagen gesehen. Das unerträgliche Warten war vorüber.
Erstaunlicherweise kam ihm der Todesfall erst jetzt real vor. Als würde er erst dadurch bestätigt, dass jemand anderes die Leiche gefunden hatte.
Leider wusste er, was nun geschehen würde. Das Bestattungsunternehmen würde die sterblichen Überreste in die Rechtsmedizinische Abteilung bringen. Dort würden sie untersucht werden. Jemand würde jeden Millimeter der Leiche begutachten. Der Gedanke erfüllte ihn mit neuer Angst. Was würde man entdecken? Wie würde die Leiche aussehen, und wie würde man ihre absonderliche Platzierung deuten?
Die Fragen ließen ihm keine Ruhe, und seine innere Anspannung nahm zu. Seine Vergangenheit drohte ihn einzuholen, und ihm wurde klar, dass es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit war, bis die Polizei an seiner Tür klingeln würde. Er sah es bereits vor sich – vernommen von seinen eigenen Kollegen. Alles war so schnell gegangen, dass er keine Zeit zum Überlegen gehabt hatte. Vielleicht hatte er Spuren hinterlassen. Er war sich nicht sicher. Wirklich sicher wusste er nur, dass er die Entscheidung, die er damals getroffen hatte, für den Rest seines Lebens bereuen würde.
*
Um Markus aus dem Weg zu gehen, machte sich Ella bereits vor sieben Uhr morgens auf den Weg zur Arbeit. Er hatte das gesamte Wochenende lang Dienst gehabt, und zum ersten Mal seit Langem war Ella ziemlich dankbar darüber. Sie erschien als Erste im Büro und musste, ehe sie anfangen konnte zu arbeiten, die Alarmanlage ausschalten und die mit Brandschutz ausgestatteten Schränke öffnen, in denen die Unterlagen verwahrt wurden. Obwohl die Unterlagen zum größten Teil digitalisiert waren, wurde für jeden Fall ein Aktenordner erstellt, für dessen Verwahrung man die Verantwortung hatte. Alle eingehenden und im Haus erstellten Dokumente waren öffentlich einsehbar und wurden, nachdem sie mit einem Eingangsvermerk versehen waren, archiviert. Aus diesem Grund wurde der Platzmangel zunehmend ein Problem und führte dazu, dass lediglich die Fälle der letzten Jahre in dem Stockwerk aufbewahrt wurden, in dem sie arbeiteten. Man hatte diverse Kellerräume eingerichtet, um auch die älteren handschriftlichen Fälle unterbringen zu können, die mit einem Datum bis zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts versehen waren.
Eines der Regale in dem feuersicheren Schrank war für ihre Fälle vorgesehen. Die Papierstapel, die ihr darin entgegenblickten, signalisierten ihr nicht nur, dass die erst kürzlich neu angestellte Sekretärin zeigen wollte, was sie konnte, und dass sie in der vergangenen Woche fleißig gearbeitet hatte, sondern auch, dass Ella einen langen Arbeitstag vor sich hatte. Sie war zwar für keine Obduktion eingetragen, aber sie würde versuchen, so viele Fälle wie möglich abzuarbeiten, die sie vor den Weihnachtsfeiertagen untersucht hatte. Eigentlich brauchte sie nie lange für ihre Dokumentationen, doch nach einem Urlaub geriet sie naturgemäß immer etwas ins Hintertreffen, was sich unmittelbar in Form von Anrufen der Polizei zeigte, die wiederum von den Angehörigen Druck bekam, weil sie eine Antwort darauf forderten, warum
Weitere Kostenlose Bücher