Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
wie die beiden Kniegelenke gebeugt. Am Rücken, am Gesäß und an den Rückseiten der Oberschenkel ist die Haut etwas besser erhalten. Die gesamte Kopfhaut ist verbrannt, sodass die verkohlte spröde Hirnschale, die dabei ist zu zerfallen, zu großen Teilen freigelegt ist. Teile der Gesichtsknochen sind ebenfalls in dieser Weise freigelegt. Sowohl die obere als auch die untere Zahnreihe sind verkohlt und weisen Auflösungserscheinungen auf. Die Bauchdecke ist weitgehend zerstört, sodass sich an der Vorderseite des Rumpfes Teile des Dünndarms herauswölben, die ebenfalls verkohlt sind und zu zerfallen beginnen. Diese Veränderungen zeigen sich ebenso an der Vorderseite des linken Oberschenkels und an der Innenseite des linken Unterschenkels.
Sie schob den Text von sich und schloss die Augen. Seit über zehn Jahren verfasste sie bereits Protokolle dieser Art. Objektiv, kurzgefasst, aber mit detaillierten Beschreibungen. Während der Gespräche mit Angehörigen riet sie ihnen oftmals davon ab, die Protokolle zu lesen. Denn keiner sollte eine derartige Beschreibung der Person lesen müssen, der man nahestand. In diesem Augenblick, in dem sie das Obduktionsprotokoll ihres Vaters vor sich liegen hatte, war sie überzeugt davon, dass dieser Rat angemessen war. Der Schmerz in ihrer Brust war unerträglich. Dennoch riss sie sich zusammen und las weiter. Aus der äußeren Untersuchung der Leiche ließ sich nur ablesen, dass die Temperatur des Feuers extrem hoch gewesen sein musste. Normalerweise blieben die Zähne bei einem Hausbrand erhalten, während die poröseren Knochen spröde wurden und zerfielen. Um auch die Zähne zu zerstören, war eine Temperatur von über 1200 Grad notwendig. Sie überflog die Standardformulierungen weiter und hielt hin und wieder inne, um sie sich einzuprägen.
Im Kehlkopf sowie in der Luftröhre ist kein fremdartiger Inhalt gefunden worden. Die Schleimhäute sind blass und weisen keinen Reizzustand auf.
Die Hülle der Leber ist stellenweise schwarz verkohlt und stellenweise unverletzt. Im unverletzten Bereich weist die Oberfläche eine leicht raue Struktur auf. Das Lebergewebe ist an den Schnittflächen hell gelblich-braun, während es am Messer deutliche Spuren von Fettgewebe hinterlässt.
Der linke Oberarm weist eine geringe Fehlstellung auf, und bei der Freilegung des Knochens ist ca. 16 cm oberhalb des Ellenbogengelenks ein gut verheilter Knochenbruch zu erkennen.
Ella wand sich. Sie blätterte rasch weiter und gelangte zum Gutachten, in dem der Rechtsmediziner die Befunde zusammengefasst hatte und seine Schlüsse daraus zog. Sie musste den kurzen Text zwei Mal lesen, um seinen Inhalt zu verstehen.
Aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Untersuchung der Leiche von Andersson, Frederick, geboren am 12. 11. 1945, darf ich hiermit folgendes Gutachten abgeben:
dass Frederick Anderssons Leiche
ausgedehnte Brandverletzungen sowie
einen verheilten Knochenbruch am linken Oberarmknochen aufwies;
dass die Brandverletzungen eine zufriedenstellende Beurteilung unmöglich machten;
dass die Art der Verletzungen möglicherweise dafürspricht, dass die Brandverletzungen die Todesursache bildeten;
dass die Befunde zusammengenommen mit den Umständen des Falls dafür sprechen, dass er durch einen Unfall gestorben ist; und
dass sich im Zuge der Untersuchung keine Hinweise darauf ergeben haben, dass die Todesursache nicht der oben genannten entspricht.
Sie saß lange da und dachte über das gelinde gesagt dürftige Gutachten nach. Es war unterschrieben von Viktor Kauffman. Normalerweise ging aus einem Gutachten hervor, ob irgendetwas darauf hindeutete, dass die betreffende Person noch am Leben gewesen war, als der Brand ausbrach. Es konnte sich beispielsweise um Rußpartikel in den Atemwegen handeln, die dafür sprachen, dass die Person noch geatmet hatte, während es brannte. Soweit Ella wusste, konnte man seit den 1940er Jahren chemische Analysen durchführen, um die Menge an Kohlenmonoxid im Blut der Toten zu messen; eine Analyse, die bei einem Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung inzwischen zum Standard gehörte. Wenn man diese Befunde jedoch nicht erbracht hatte, konnte die Todesursache nur selten mit Sicherheit festgestellt werden. Natürlich bildete die Entnahme von Blut oder ähnlichem Gewebe der Leiche die Voraussetzung, um diese Analyse durchführen zu können, was bei Brandopfern nicht immer möglich war. Bei extrem hohen Temperaturen löste sich außerdem die Verbindung von
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