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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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bißchen wehmütig.
    Scramm lachte wieder und zeigte die letzten hartnäckigen Überreste seiner Zähne. »Ich habe kein anderes Mädchen angeguckt, seit wir verheiratet sind. Cathy ist Klasse.«
    »Und dann machst du so was!«
    »Na und?« erwiderte Scramm lachend. »Bringt es etwa keinen Spaß?«
    »Harkness bestimmt nicht«, antwortete Garraty heftig. »Geh doch mal vor und frage ihn, ob es ihm Spaß bringt!«
    »Du hast keine Vorstellung von den Folgen«, schaltete Pearson sich ein und schob sich zwischen Scramm und Garraty. »Du könntest verlieren. Du mußt wenigstens zugeben, daß du verlieren könntest.«
    »Die Wetten in Vegas haben mich, kurz bevor der Marsch gestartet ist, zum Favoriten erklärt«, sagte Scramm. »Die Wette läuft.«
    »Ja, ja«, antwortete Pearson niedergeschlagen. »Und du bist gut in Form, wie jeder sehen kann.« Pearsons Gesicht war nach der langen Nacht auf der Straße blaß und ganz spitz geworden. Er spähte uninteressiert in die Menschenmenge, die sich auf dem Parkplatz eines Supermarktes versammelt hatte, an dem sie gerade vorbeikamen. »Jeder, der nicht in Form war, ist inzwischen tot oder wenigstens halbtot. Aber wir Sind immerhin noch zweiundsiebzig.«
    »Ja, aber...« Die breite Stirn über Scramms Mondgesicht zog sich in Falten, und Garraty könnte die Maschine da oben drin fast arbeiten hören: langsam, bedächtig, aber am Ende so sicher wie der Tod und so unumgänglich wie die Steuer. Es war irgendwie ehrfurchtgebietend.
    »Ich will euch Jungs nicht verärgern«, fuhr Scramm schließlich fort, »ihr seid nette Kerls. Aber ihr habt euch nicht auf diesen Marsch eingelassen, um zu gewinnen und euch den Preis zu holen. Die meisten hier wissen nicht, warum sie mitgehen. Seht euch Barkovitch an. Er hat es nicht in sich, den Preis zu gewinnen. Er läuft nur mit, um die anderen sterben zu sehen. Davon lebt er. Sobald jemand erschossen wird, spürt er gleich ein bißchen mehr Kraft, um weiterzugehen. Aber das reicht nicht. Er wird wie ein Herbstblatt am Baum verwelken.«
    »Und ich?« fragte Garraty.
    Scramm wurde verlegen. »Ach, nein...«
    »Doch, sag's mir.«
    »Na ja, soweit ich das sehe, weißt du auch nicht, warum du hier bist. Es ist genau dasselbe. Du gehst im Augenblick weiter, weil du Angst hast, aber das ist nicht genug. Das verschleißt sich.« Scramm blickte auf die Straße hinunter und rieb die Hände gegeneinander. »Und wenn es sich verschlissen hat, dann wirst du genau wie alle anderen auch erschossen werden, Ray.«
    Garraty dachte an das, was McVries gesagt hatte: Wenn ich müde werde, so richtig müde - ich glaube, dann setze ich mich einfach auf die Straße.
    »Du wirst noch eine lange Weile gehen müssen, um mich unterzukriegen«, sagte er trotzig, doch Scramms schlichte Einschätzung seiner Situation hatte ihm mächtige Angst eingejagt.
    »Ich«, sagte Scramm, »bin bereit, eine lange Weile zu gehen.«
    Ihre Füße hoben sich und fielen wieder auf den Asphalt zurück. Sie trugen sie durch die nächste Kurve, in eine Talsenke und über Bahngleise, die zwei metallische Furchen durch den Asphalt gruben, vorbei an einer geschlossenen Hummerbude. Dann waren sie wieder auf dem offenen Land.
    »Ich glaube, ich weiß, was es heißt zu sterben«, sagte Pearson plötzlich. »Ja, inzwischen weiß ich's wohl. Ich meine nicht den Tod - den begreife ich immer noch nicht -, aber das Sterben. Wenn ich zu gehen aufhöre, dann bin ich einfach am Ende.« Er schluckte, und seine Kehle gab ein klickendes Geräusch von sich. »So wie eine Schallplatte nach der letzten Rille.« Er blickte Scramm voll Ernst in die Augen. »Vielleicht ist es so, wie du sagst. Vielleicht reicht das nicht. Aber ich -ich will nicht sterben.«
    Scramm sah beinahe verächtlich auf ihn herab. »Du glaubst also, das Wissen um den Tod wird dich davor bewahren, zu sterben?«
    Auf Pearsons Gesicht breitete sich ein komisches, kränkliches Lächeln aus. Er wirkte wie ein vornehmer Geschäftsmann, der auf einem stampfenden Boot versucht, sein Abendessen bei sich zu behalten. »Im Augenblick ist das alles, was mich bei der Stange hält.« Garraty empfand eine Woge von Dankbarkeit, daß seine Schutzmechanismen noch nicht auf dieses Minimum reduziert waren. So weit war er wenigstens noch nicht.
    Weiter vorn brach ganz plötzlich, als wolle er das Thema illustrieren, das sie gerade diskutierten, ein Junge in einem schwarzen Rollkragenpullover in zuckenden Krämpfen zusammen. Er fiel auf die Straße und zappelte und

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