Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
und bildete ein nasses, schlaffes O. Garraty bemerkte, daß er Harkness fast die Daumen drückte. Na los, feuerte er ihn insgeheim an, beeil dich. Du schaffst es schon.
    Harkness humpelte schneller. Die beiden Baseballjungen traten in ihre Pedalen und ließen ihn nicht aus den Augen. Garraty drehte sich wieder nach vorn, er hatte nicht mehr das Bedürfnis, Harkness weiter zuzusehen. Statt dessen versuchte er sich vorzustellen, daß er Jan küßte und ihre weichen Brüste spürte. Er blickte starr geradeaus.
    Auf der rechten Seite tauchte eine Shell-Tankstelle auf. Daneben parkte ein kleiner, verstaubter Unimog mit eingebeulter Motorhaube, auf der zwei Männer in schwarzrotkarierten Jagdhemden saßen und Bier tranken. Am Eingang einer matschigen Hofeinfahrt stand ein Briefkasten mit offener Klappe. Er sah aus wie ein Mund. Irgendwo bellte heiser und ununterbrochen ein Hund.
    Die Karabiner senkten sich langsam und nahmen Hark-ness aufs Korn.
    Ein langer, furchtbarer Moment der Stille setzte ein, und dann gingen die Gewehre wieder nach oben. Alles nach den Regeln, alles nach den Vorschriften. Kurz darauf wanderten sie wieder nach unten. Garraty hörte Harkness laut und keuchend atmen.
    Die Karabiner hoben sich langsam, sanken ebenso langsam wieder nach unten, und wurden schließlich doch wieder gehoben.
    Die beiden Baseballjungen blieben mit Harkness auf gleicher Höhe. »Haut ab, ihr beiden!« rief Baker plötzlich heiser. »Das hier ist nichts für euch! Seht zu, daß ihr Land gewinnt!«
    Die beiden starrten ihn mit ausdruckslosen, neugierigen Gesichtern an, als wäre er ein seltener Fisch, und blieben. Einer von ihnen, ein stämmiger, bulliger Kerl mit verwuschelten Haaren und tellergroßen Augen, drückte auf die Hupe an seinem Lenker und lachte. Er trug Zahnspangen, die im Sonnenlicht bösartig metallisch aufblitzten.
    Die Karabiner sanken wieder nach unten. Inzwischen war es zu einer Art Tanz, zu einem Ritual geworden. Harkness balancierte nahe am Abgrund. Hast du in letzter Zeit ein paar gute Bücher gelesen, Harkness? dachte Garraty idiotischerweise. Diesmal erschießen sie dich. Nur noch einen Schritt zu langsam, und dann - die Ewigkeit.
    Alles erstarrte.
    Doch die Gewehre hoben sich wieder.
    Garraty sah auf die Uhr. Der Sekundenzeiger wanderte ein-, zwei-, dreimal herum. Harkness holte ihn ein und ging an ihm vorbei. Sein Gesicht war starr und gefaßt, seine Augen blickten stur geradeaus. Die Pupillen hatten sich zu winzigen Punkten zusammengezogen. Seine Lippen hatten eine leicht bläuliche Farbe angenommen, und die Wangen, die vorhin noch feuerrot gewesen waren, waren jetzt käsebleich bis auf zwei grelle Punkte auf dem Jochbein. Aber er schonte den kranken Fuß nicht mehr, der Krampf hatte sich ofenbar gelöst. Sein bestrumpfter Fuß klatschte bei jedem Schritt auf die Straße. Wie lange konnte man wohl so ohne Schuh gehen? fragte Garraty sich.
    Trotzdem spürte er ein erlösendes Gefühl in der Brust und er hörte, daß Baker den Atem ausstieß. Es war dumm, so zu fühlen. Je eher Harkness ausschied, desto eher könnte er aufhören zu gehen. Das war die einfache Wahrheit. Das ist logisch. Aber es gab etwas, das tiefer ging, eine wahrere, beängstigendere Logik. Harkness gehörte zu der losen Gruppe, zu der auch Garraty sich zugehörig fühlte. Er war ein Teil ihres Subklans, ihres magischen Kreises. Wenn ein Stück dieses Kreises durchbrochen werden konnte, konnte auch der ganze Kreis zugrunde gehen.
    Die beiden Jungen folgten ihnen noch zwei Meilen auf ihren Rädern, dann verloren sie das Interesse und kehrten um. Es war besser so, dachte Garraty. Es machte nichts aus, daß sie Baker wie ein seltenes Tier im Zoo angestarrt hatten. Aber es war wichtig, daß sie um diesen Tod betrogen worden waren. Er sah ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren.
    Harkness hatte weit vorn eine neue Einmannvorhut gebildet. Er rannte fast und blickte weder nach links noch nach rechts. Garraty hätte gern gewußt, was er jetzt dachte.

    Scramm, Nummer 85, faszinierte Garraty nicht wegen seiner strahlenden Intelligenz, denn Scramm war nicht besonders hell. Er faszinierte ihn auch nicht wegen seines runden Mondgesichts, seines Bürstenhaarschnitts oder seines stattlichen Körperbaus, der etwas von einem Elch hatte. Er faszinierte Garraty, weil er verheiratet war.
    »Wirklich?« fragte Garraty ihn schon zum drittenmal, denn er war immer noch nicht ganz sicher, ob Scramm ihn nicht auf den Arm nehmen wollte. »Bist du wirklich

Weitere Kostenlose Bücher