Todesmarsch
kleine Aufregung beschert. Etwas, worüber sie morgen in der Schule plaudern können.«
»Halts Maul!« brüllte Gribble und krümmte sich mit den Händen am Unterleib zusammen. »Es tut weh. Ich habe einen Krampf -«
»Blaue Eier«, rief Pearson. »Das hat er davon gekriegt.«
Gribble warf ihm durch die verklebten, schwarzen Haarsträhnen, die ihm über die Augen gefallen waren, einen bösen Blick zu. Er sah wie ein verblüfftes Wiesel aus. »Es tut weh!« stieß er noch einmal hervor und sank langsam in die Knie.
Die Hände gegen den Unterleib gepreßt, den Kopf gesenkt, den Rücken gebeugt, saß er da, zitterte und schniefte, und Garraty konnte die feinen Schweißperlen auf seinem Hals sehen. Einige hatten sich in den winzigen Nackenhärchen verfangen, die sein Vater immer Entenflaum genannt hatte.
Einen Augenblick später war Gribble tot.
Garraty wandte den Kopf und blickte zu den Mädchen zurück, aber die hatten sich schon in ihren MG zurückgezogen. Sie waren nur noch zwei Schattenfiguren.
Er versuchte angestrengt, sie aus seinen Gedanken zu vertreiben, doch sie schlichen sich immer wieder ein. Was mochte es für ein Gefühl gewesen sein, diesen warmen, bereitwilligen Körper an sich zu drücken? Ihre Schenkel hatten gezuckt, mein Gott, sie hatten gezuckt! Wie in einem Krampf oder einem Orgasmus, oh, Gott, dieser unbezwingbare Drang, sich selbst zu streicheln und zu liebkosen und vor allem die Hitze zu spüren - diese Hitze!
Er ließ sich gehen. Ein warmer Strahl, der ihn erhitzte, der ihn näßte. Oh, Himmel, es wird durch die Hose zu sehen sein, jemand wird es bemerken und mit dem Finger auf mich zeigen und mich fragen, wie es mir gefiele, ohne Kleider auf die Straße geschickt zu werden, nackt durch die Nachbarschaft zu laufen - laufen - laufen...
Oh, Jan, ich liebe dich, dachte er, doch es war ein verwirrtes Gefühl, in das sich etwas anderes hineinmischte.
Er rollte seine Jacke auseinander, band sie wieder um die Hüfte und lief weiter wie bisher. Die Erinnerung verblaßte schnell wie ein Negativ, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.
Ihre Schritte wurden schneller. Sie befanden sich auf einem steilen Abstieg, und es war schwierig, langsam zu gehen. Ihre Muskeln arbeiteten und rieben sich aneinander, der Schweiß lief ihnen in Strömen den Rücken hinunter. Es war unglaublich, aber Garraty ertappte sich dabei, daß er sich die Nacht zurückwünschte. Neugierig spähte er zu Olson hinüber und fragte sich, wie der mit der Hitze zurechtkäme.
Olson starrte weiterhin auf seine Füße hinunter. Seine Nackensehnen ragten knotig unter der Haut hervor. Seine Lippen waren zu einem starren Grinsen zurückgezogen.
»Er ist bald soweit«, sagte McVries so dicht neben seinem Ellbogen, daß er zusammenfuhr. »Wenn sie zu hoffen anfangen, daß sie erschossen werden, damit ihre Füße ausruhen können, dann ist das Ende nicht mehr weit.«
»Ach, wirklich?« sagte Garraty verärgert. »Wie kommt es bloß, daß jeder hier viel mehr als ich über diese Dinge weiß?«
»Weil du so süß bist«, antwortete McVries und zog, seine Füße dem Sog des Abhangs überlassend, an ihm vorbei.
Stebbins. Er hatte schon lange nicht mehr an Stebbins gedacht. Er wandte den Kopf und sah sich nach ihm um. Er war immer noch da. Da die Gruppe sich in die Länge gezogen hatte, lag er jetzt gut eine halbe Meile zurück, aber die lila Hose und das Flanellhemd waren unverkennbar. Er bildete immer noch den Schwanz der Gruppe, ein magerer Geier, der nur darauf wartete, daß sie alle umfielen.
Garraty empfand plötzlich eine heftige Wut. Er hatte das Verlangen, zurückzurennen und diesen Geier zu erwürgen. Es gab keinen Anlaß dafür, aber er mußte diesen Drang massiv unterdrücken, i Als sie den Abstieg geschafft hatten, waren Garratys Beine gummiweich und zitterten. Der Zustand dumpfer Müdigkeit, der sich in seinem Körper mehr oder weniger eingependelt hatte, wurde von unerwarteten Schmerzstichen in seinen Beinen und Füßen unterbrochen, die seine Muskeln zu verkrampfen drohten. Mein Gott, warum auch nicht, dachte er. Schließlich befanden sie sich jetzt seit zweiundzwanzig Stunden auf der Straße. Zweiundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen, das war unglaublich.
»Wie geht es dir?« fragte er Scramm, als ob er es ihn vor zwölf Stunden zum letzten Mal gefragt hätte.
»Gut, sehr gut«, antwortete Scramm und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Dann zog er den Rotz hoch und spuckte ihn auf die Straße.
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