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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sie könnten doch warten, und sie wollte ihn nicht verlieren. Bitte, Ray, mach keinen Fehler, der Marsch ist reiner Mord...
    Sie hatten auf einer Bank neben dem Musikpavillon gesessen - einen Monat war das jetzt her, April -, und er hatte den Arm um sie gelegt. Sie hatte das Parfüm benutzt, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, und es kam ihm so vor, als nehme es bei ihr einen geheimen, dunklen Mädchenduft an. Sinnlich und berauschend. Ich muß gehen, hatte er zu ihr gesagt. Das verstehst du nicht, ich muß.
    Ray, du hast keine Ahnung, was du da tust. Bitte, Ray, geh nicht. Ich liebe dich.
    Na ja, dachte er jetzt, als er die Straße entlanglief, sie hat recht gehabt. Ich hab' wirklich keine Ahnung gehabt, was ich da vorhatte.
    Aber ich verstehe es auch jetzt noch nicht. Das ist der Haken an der Sache. Es ist ganz simpel und einfach die Hölle, »Garraty?«
    Er zuckte vor Schreck zusammen und hob den Kopf. Er mußte wieder halb eingeschlafen sein. McVries lief neben ihm.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Fühlen?« fragte er vorsichtig. »Ganz gut, glaube ich. Ja, ich glaube, ich bin ganz in Ordnung.«
    »Barkovitch ist angeknackst«, sagte McVries mit stiller Freude. »Ich bin ganz sicher. Er redet mit sich selbst, und er humpelt.«
    »Du humpelst auch«, erwiderte Garraty. »Genauso wie Pearson. Genau wie ich.«
    »Mir tut bloß der Fuß weh. Aber Barkovitch... Er reibt sich immer wieder das eine Bein. Ich glaube, er hat eine Muskelzerrung.«
    »Warum haßt du ihn so sehr? Warum nicht Collie Parker? Oder Olson? Oder uns alle?«
    »Weil Barkovitch weiß, was er tut.«
    »Du meinst, er spielt, um zu gewinnen?«
    »Du hast keine Ahnung, was ich meine, Ray.«
    »Ich frage mich, ob du es selbst weißt«, antwortete Garraty. »Klar, er ist ein Arschloch. Vielleicht muß man das sein, um zu gewinnen.«
    »Die Guten sind immer benachteiligt.«
    »Himmel, wie soll ich das wissen?«
    Sie kamen an einer mit Schindeln bedeckten Schule vorbei, die nur aus einem Klassenzimmer bestand. Die Kinder waren draußen auf dem Spielplatz und winkten. Einige Jungen standen wie Wachmänner oben auf dem Klettergerüst und erinnerten Garraty an die Waldarbeiter in dem Holzlager.
    »Garraty!« schrie einer von ihnen herunter. »Ray Garraty! Gar-ra-tiii!« Ein kleiner Junge mit einem Wuschelkopf hüpfte auf dem obersten Gerüstbalken auf und ab und winkte ihm mit beiden Armen. Garraty winkte halbherzig zurück. Plötzlich drehte der Kleine eine Rolle, hing mit den Kniekehlen kopfunter an der Stange und winkte immer noch. Garraty war erleichtert, als der Spielplatz außer Sicht war. Das letzte Ereignis war ein wenig zu anstrengend gewesen, um länger darüber nachzudenken.
    Pearson gesellte sich zu ihnen. »Ich habe nachgedacht.«
    »Spar deine Kräfte«, sagte McVries.
    »Das ist schwach, Mann. Ausgesprochen schwach.«
    »Worüber hast du denn nachgedacht?« fragte Garraty ihn.
    »Wie gemein die Sache für den zweitletzten sein wird.«
    »Wieso gemein?« fragte McVries.
    »Na ja...« Pearson rieb sich müde die Augen, kniff sie zusammen und betrachtete eine zerborstene Kiefer, die vor einiger Zeit vom Blitz getroffen worden war. »Stellt euch mal vor, jeden anderen überlebt zu haben, absolut jeden, bis auf den letzten. Dafür sollte es einen Extrapreis geben, finde ich.«
    »Und was?« fragte McVries lahm.
    »Ich weiß nicht.«
    »Wie war's mit seinem Leben?« schlug Garraty vor.
    »Wer würde schon dafür laufen?«
    »Vielleicht niemand, bevor der Marsch angefangen hat. Aber im Augenblick wäre ich damit zufrieden. Zur Hölle mit dem Preis. Zur Hölle mit der Erfüllung meiner Herzenswünsche. Wie ist es mit euch?«
    Pearson dachte lange darüber nach. »Ich sehe einfach keinen Sinn darin«, sagte er schließlich entschuldigend.
    »Sag du's ihm, Pete.«
    »Was soll ich ihm sagen? Er hat recht. Entweder den ganzen Kuchen oder gar keinen!«
    »Ihr seid verrückt«, sagte Garraty nicht ganz überzeugt. Dun war heiß, er war furchtbar müde, und hinter den Augen spürte er die leisen Anfänge von Kopfschmerzen. Vielleicht fängt so der Sonnenstich an, dachte er. Vielleicht wäre das auch die beste Art, um zu sterben. Einfach in einer träumerischen, halbbewußten Zeitlupenbewegung in die Knie gehen und nie wieder aufwachen.
    »Klar«, erwiderte McVries liebenswürdig. »Wir sind alle verrückt, sonst wären wir nicht hier. Ich dachte, das hätten wir schon vor langer Zeit ausdiskutiert. Wir wollen sterben, Ray. Hast du das immer noch nicht in

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