Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
sogar im Haus gewesen?«
»Nein, weder noch. Ich meine, ich habe das ja auch nur zufällig mitbekommen, Sie wissen ja, ich habe Besseres zu tun, als den ganzen Tag am Fenster zu stehen.«
Fragt sich nur was, dachte Kullmer, war aber gleichzeitig auch irgendwie dankbar, dass es wachsame Menschen wie Klara von Diethen gab. Er erhob sich langsam.
»Wir werden dieser Spur nachgehen, und ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie extra deswegen angerufen haben. Ich hoffe, Sie kommen deshalb nicht zu sehr in zeitlichen Verzug.«
»Na ja, man hilft, wo man kann«, sagte die Dame großmütig und stand ebenfalls auf. »Ist ja auch im Interesse der Nachbarschaft, wenn die Gegend dadurch wieder sicherer wird.«
Ihr habt Sorgen, dachte Kullmer verächtlich, als er durch den Hausflur schlenderte, dessen hohe Wände mit teuren Gemälden behangen waren. In zwei Seitennischen standen außerdem zwei hüfthohe braune Vasen, hässlich wie die Nacht, aber wahrscheinlich unglaublich wertvoll. Er überlegte, wie er sich am schnellsten und zugleich am diplomatischsten verabschieden konnte, da erklang bereits Klara von Diethens Stimme. »Herr Kullmer?«
Was zum Teufel denn noch? Kullmer drehte sich mit einem gezwungenen Lächeln um.
»Ja bitte? Ist Ihnen noch etwas eingefallen?«
»Nein, aber Sie haben etwas vergessen. Wollen Sie sich nicht vielleicht noch das Kennzeichen dieses BMW notieren?«
»Äh, natürlich«, stammelte Kullmer verdutzt.
»Warten Sie, ich habe hier den Zettel«, sagte Frau von Diethen und zog die Schublade eines antiken Sekretärs aus hellem Kirschbaumholz heraus. Während Kullmer die Ziffern abschrieb, fragte er: »Wie kamen Sie eigentlich darauf, dass der Wagen in Verbindung mit dem Verschwinden Alexander Bertrams stehen könnte?«
»Weil er, seit Sie das erste Mal hier waren, nicht wieder aufgetaucht ist.«
Freitag, 13.50 Uhr
D u willst damit sagen, dass diese alte Wachtel in ihrem Bunker hockt, Kennzeichen notiert und wer weiß was über ihre Nachbarn in Erfahrung bringt, aber dann hinterher nicht die Chuzpe hat, es zuzugeben?« Hellmers Stimme klang ungläubig, beinahe schon gereizt.
»Na, wenn ich’s doch sage«, erwiderte Kullmer. »Wenn ich ihr bei meinem persönlichen Besuch nicht das Gefühl gegeben hätte, etwas Richtiges zu tun, hätte sie es ums Verrecken nicht gemeldet. Dass sie angerufen hat, ist an sich schon ein kleines Wunder.«
Gemeinsam mit Hellmer stand er in Bergers Büro, Julia saß am Schreibtisch und war gerade im Begriff, eine Anfrage aus dem Ruhrgebiet zu beantworten. Kripo Bochum, die Abteilung dort hieß KK 11. Wenn das so weitergeht, hatte Julia vor ein paar Minuten noch gedacht, dann können wir hier bald eine Zweigstelle des BKA aufmachen. Oder, was noch schlimmer wäre, das BKA würde sich den Fall komplett unter den Nagel reißen. Doch das war eher unwahrscheinlich, und zumindest die Ermittlungen in Frankfurt würden weiterhin Aufgabe ihres Teams bleiben. Abgesehen davon, glaubte sie nicht, dass die Anfrage aus Bochum mit ihrem Fall zu tun hatte. Ein neunjähriger Junge, auf dem Schulweg verschwunden, das passte noch weniger ins Schema als die bisherigen Toten. Vermutlich war es ein verzweifelter Versuch der dortigen Beamten, eine Spur zu finden. In solchen Momenten war Julia Durant heilfroh, keine eigenen Kinder in diese Welt gesetzt zu haben, ein Gefühl, das nicht immer vorherrschte, wie sie sich eingestehen musste. Sie schob die Tastatur beiseite und konzentrierte sich auf ihre Kollegen. Kullmer war aufgeregt ins Präsidium zurückgekehrt mit einer ominösen Geschichte zu einem grauen BMW, der sich im Unterliederbacher Vogelviertel verdächtig gemacht haben sollte.
»Spätestens, als ihr mit dem Schlüsseldienst dort aufgelaufen seid, hätte sie aber mal was sagen können, finde ich«, kommentierte sie Kullmers Bericht stirnrunzelnd.
»Schon«, nickte dieser. »Sie hat sich halt irgendwie damit rausgeredet, dass sie gerne früher angerufen hätte, ihr Mann es aber nicht wollte. Wer weiß, was die in ihren heiligen Hallen so alles zu verbergen haben. Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit … In solchen Kreisen geht es ja oftmals hoch her, nicht wahr, Frank?« Er stieß Hellmer mit einem verstohlenen Blick an.
»Blödmann. Was soll das denn schon wieder mit ›solchen Kreisen‹? Bin ich etwa eines dieser versnobten Arschlöcher, die tagsüber einen auf wohltätigen Gönner machen und später daheim ihre Frau verprügeln oder nachts in die Kinderzimmer
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