Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
verschwörerischen Blick zuwarfen. Sie kniff die Augen zusammen und musterte die beiden argwöhnisch. »Ist noch etwas?«
Hellmer räusperte sich, doch Kaufmann war schneller.
»Ja und nein, also wir sind uns nicht ganz sicher«, begann sie. »Einen Moment bitte.« Sie stand auf und griff den auf dem Boden stehenden Präsentationskoffer. Sie entnahm dem mit bunten Papieren, Magneten, dünnen und breiten Stiften sowie Klebeband bestückten Kasten einen Bogen hellgelbes Papier und einen dunklen Faserstift. Mit raschen Handbewegungen skizzierte sie den Grundriss des Tatorts, den rechteckigen Raum, die Tür, das Regal, den umgestürzten Schrank, den Stuhl und das Bett. Zum Schluss ergänzte sie die Lage und etwaige Körperhaltung des Toten sowie einige Punkte und Kringel.
Julia Durant beobachtete jede Bewegung ihrer Kollegin. Die gezeichnete Szene kam ihr irgendwie bekannt vor, was ihr nicht weiter verwunderlich erschien, waren doch die meisten Räume in ihrer Grundaufteilung ähnlich. Ein weiterer Keller mit einer weiteren Leiche, dachte sie, und ein weiterer Mord, in dem ich von der falschen Seite des Schreibtischs aus ermitteln muss.
»Folgendes«, durchbrach Sabine Kaufmann die fast schon andächtige Stille. Auch die anderen Kollegen hatten kein Auge von dem Grundriss gelassen. »Am Tatort sind uns verschiedene Faktoren aufgefallen, die wir einmal unkommentiert sammeln möchten. Frank«, sie sah ihren Kollegen fragend an, »würdest du sie an der Tafel notieren?«
Hellmer erhob sich, schritt zum Whiteboard und griff nach einem schwarzen Marker: »Schieß los!«
Anschließend notierte er, was Sabine Kaufmann ihm diktierte:
Opfer: männlich, Student (Uni Frankfurt, Jura)
Zustand: nackt, misshandelt, sexuell missbraucht
Todesursache: gezielter Schnitt durch die Halsschlagader
Tatort: leere Whiskey- und Wodkaflaschen, verschiedene weiche und harte Drogen (bisher Joints und Ecstasy-Pillen), Abspielgerät mit »Stairway to Heaven« in Endlosschleife
Sabine hielt kurz inne und warf einen Blick auf die Tafel. Danach seufzte sie leise und sagte: »Sei so gut, Frank, und ergänze bei Zustand des Opfers noch die herausgetrennten Augen.«
Hellmer fügte die Notiz hinzu und kehrte zu den anderen zurück.
»So, und was nun?«, unterbrach Julia Durant nach einigen Augenblicken das Schweigen.
»Soll ich?«, wisperte Hellmer zu Sabine, diese nickte. »Bitte, gern.«
Er warf einen Blick in die Runde, kratzte sich über die kleinen Stoppeln des am Morgen nicht rasierten Kinns und machte eine nachdenkliche Miene. »Kollegen, auch wenn der eine oder andere einzelne Fakt nicht hineinpassen mag, woran erinnert ihr euch, wenn ihr die Punkte und die Tatortskizze seht?«
Schweigen.
»Äh, Frank«, mahnte Julia ungeduldig, »keine Quizshow, okay? Wir sind hier nicht bei Wer wird Millionär .«
»Bitte, Julia, es geht mir darum, dass ich nicht irgendeine Meinung vorgeben will«, rechtfertigte sich Hellmer. »Das ist nämlich der erste Punkt, den wir überprüfen müssen.«
»Meinetwegen.« Im Stillen fragte sich die Kommissarin, ob dies wieder in ein Machtspielchen ausarten würde.
»Also, noch mal«, wiederholte Hellmer. »Ich suche eine Gemeinsamkeit. Keinen Serienkiller wohlgemerkt, nur ein ähnliches Setting. Ich gebe euch noch den Joker«, er betonte diesen Halbsatz mit einem spitzbübischen Grinsen, wurde aber sofort wieder ernst, »dass ihr dabei gar nicht so weit zurückgehen müsst.«
Julia ließ ihren Blick über die noch immer schweigenden Gesichter gleiten. Sabine zuckte nervös mit den Nasenflügeln. Doris und Peter tuschelten kurz, aber so leise, dass sie nichts verstand. In ihren Gesichtern standen Fragezeichen. Julia hatte sich auf Hellmers Experiment nicht richtig eingelassen, nur ganz kurz versuchte sie, sich an Mordfälle zu erinnern, die diesem hier ähnelten. Doch hätte es in jüngster Vergangenheit einen vergewaltigten Mann gegeben, so wäre ihr das in Erinnerung geblieben. Ebenso die herausgetrennten Augen.
»Gut, das war’s«, schloss sie das Rätselraten mit einer unwirschen Handbewegung. »Fakten auf den Tisch, bitte.«
Hellmers Blick verdüsterte sich, und er nickte Sabine auffordernd zu.
»Gut, dann kürzen wir das Ganze ab«, sagte sie. »Ein junger Mensch studiert hier in Frankfurt, nimmt teil an einem recht ausgelassenen Alkohol- und Drogenexzess und wird hinterher nackt, missbraucht und mit aufgeschlitzter Kehle aufgefunden. Erinnert euch das nicht an den Mason-Fall?«
Julia ließ pfeifend
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