Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
nicht von einer öffentlichen Telefonzelle gekommen sein. Eine Handyübertragung aus dem Auto ist ebenfalls unwahrscheinlich, es sei denn, das Auto befand sich in einer absolut verkehrsfreien Gegend.
Die Stimme ist stark verzerrt, kann je nach Transponierung als männlich oder weiblich durchgehen. Für eine Alterseinschätzung gilt dasselbe. Dies ist mit herkömmlicher Technik und ein wenig Know-how zu bewerkstelligen und kann ohne die Originaldatei auch nicht nachvollzogen werden. Ich möchte aber unbedingt darauf hinweisen, dass es noch eine viel einfachere Möglichkeit gibt: Text-to-Speech.
Ist überall erhältlich und geht mittlerweile sogar mit zwei Klicks über die Suchmaschine. Gegen diese Theorie spricht, dass die Worte, soweit man sie entzerren kann, relativ natürlich klingen. Computerstimmen haben ja meistens eine etwas andere Betonung. Eine teure T2S-Software allerdings könnte das hinbekommen.
Wenn wir noch etwas finden, melde ich mich.
MfG Schreck
PS: Ich habe den Text abgetippt, von einem kostenlosen Programm vorlesen lassen und nur minimal modifiziert. Hat keine zehn Minuten gedauert, hänge ihn mal zum Vergleich an.
Hinter der Büroklammer verbargen sich zwei Dateianhänge, von denen eine aufnahme_orig.wav hieß und die andere speech_beisp.wav . Julia klickte zweimal auf die erste der beiden, und ein neues Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm. Die Klangwellen-Visualisierung des Abspielprogramms erinnerte Julia an eine schnelle EKG-Kurve, lediglich auf den erhofften Klang wartete sie vergeblich.
»Ähm, Doris«, sagte sie unsicher, als die Klanglinien nach nur dreizehn Sekunden wieder endeten, »ich brauche hier mal deine Hilfe.«
»Computerprobleme, wie«, entgegnete Seidel und kicherte leise, als sie aufstand und sich zu Julia hinter den Schreibtisch begab. »Da solltest du dir unseren lieben Herrn Schreck mal besser warmhalten«, ulkte sie.
»Ach, hör auf«, sagte Julia und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin froh, dass ich mit meiner Kiste zu Hause klarkomme.«
Sie erinnerte sich an den Nestroy-Fall. Damals, es musste um die vier Jahre her sein, hatte sie nicht einmal einen PC besessen. Im Büro, das war klar, arbeitete natürlich jeder damit. Aber ein Computer in ihrer Wohnung? Wozu, hatte sie damals den hauseigenen IT-Spezialisten Schreck gefragt. Mittlerweile war aus Julia Durant beinahe eine Expertin geworden, für ihre Verhältnisse zumindest. Eigenes Notebook, Recherche übers Internet, die erste Online-Bestellung bei Quelle – aber in Bergers Büro einen Ton aus den Lautsprechern zu bekommen, das war ihr eine Nummer zu groß. Hat der überhaupt welche, fragte sie sich und beobachtete Doris Seidel, die flink eine Tastenkombination betätigte.
»Bitte sehr, jetzt kannst du es noch mal probieren«, sagte sie triumphierend.
Einen Mausklick später erklang eine rauhe, blecherne Stimme, die ein wenig an eine zu tief geratene Version der alten Donald-Duck-Synchronisation erinnerte.
»Carlo Stiegler befindet sich im Keller des Großmarkts, östlicher Anbau. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Er hat seine Zeit auf dieser Welt schon längst überschritten.«
Es knackte kurz, dann herrschte bedrückende Stille. Julia Durant drückte erneut auf Play und ließ den verrauschten Text ein weiteres Mal abspielen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich vorstellte, dass der Mörder nach vollendeter Tat seelenruhig in drei kurzen, sachlichen Sätzen darauf hinwies, dass eine tagelang vermisste Person tot im Keller eines verlassenen Gebäudes lag. Und dass die Person dies aus einem nicht ersichtlichen Grund sogar verdient habe.
»Er hat seine Zeit längst überschritten«, wiederholte Doris leise, »wie kaltblütig das daherkommt.«
»Allerdings«, stimmte Julia ihr zu und suchte dann mit dem Mauszeiger das Symbol der zweiten Datei. Völlig klar, nahezu unverzerrt und nur mit einem leichten Rauschen unterlegt erklang nun eine Männerstimme, ähnlich denen, die monoton irgendwelche Wissenschaftssendungen oder Dokus kommentierten. Sprechgeschwindigkeit und Stimmlage glichen in etwa der ersten Aufnahme, lediglich die Aussprache unterschied sich an einigen Stellen deutlich von der Originalaufnahme. Das scharfe S in Großmarkt wirkte etwas überbetont, das O abgehackt, etwa so wie in Rosskastanie. Das darauffolgende kurze Ö in östlich klang mehr wie ein doppeltes E. Der dritte Satz wiederum klang vollkommen sauber und klar, selbst die Umlaute.
»Wahnsinn«, hauchte
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