Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
ihren Atem entweichen, große Augen bei Seidel, ein herunterklappendes Kinn bei Kullmer. Aber Moment … konnte das wirklich sein?
»Langsam, langsam«, unterbrach Julia mit gerunzelter Stirn das einsetzende ungläubige Murmeln. Sie grub fieberhaft in ihren Erinnerungen, die alles andere als angenehm waren. Jennifer Mason, Herbst 2008. Es war der Fall, von dem Berger sie so lange ausgeschlossen hatte, bis es beinahe zu spät gewesen war. Aber sie hatte es trotzdem geschafft: vier Tatverdächtige, vier Verurteilungen, und diese jeweils mit Höchststrafe.
»Wie um alles in der Welt sollen diese Fälle denn zusammenhängen? Das eine war eine zierliche, junge Kanadierin, hier ist es ein stämmiger Kerl Ende zwanzig. Die Kleine wurde in ihrer eigenen Wohnung überrumpelt, hier ist es ein Kellerloch. Bei Mason war es spontan, hier offenbar geplant. Ich erinnere nur an den Anruf. Soll ich weitermachen?«
»Nein, ich verstehe das ja alles«, verteidigte sich Kaufmann. »Aber es ist diese dunkle Erinnerung, ganz verschwommen, heute Morgen am Tatort war sie plötzlich da und geht seither nicht mehr weg.«
»Ich kann es nicht nachvollziehen, tut mir leid«, entgegnete Julia. »Ich klammere mal aus, dass wir vier ordentlich verurteilte Inhaftierte haben, das an sich sollte ja schon genügen. Hinzu kommt die Sache mit den Augen. Jennifer Mason jedenfalls hatte ihre noch, als wir sie fanden. Das ist dünn, wirklich dünn, ich kann da beim besten Willen nichts erkennen.«
Hellmer und Kaufmann saßen mit verschränkten Armen da und nahmen den vernichtenden Kommentar ihrer Vorgesetzten entgegen. Sie verzogen keine Miene, doch in ihnen, besonders in Hellmer, das wusste Julia genau, brodelte es. Sie rang sich zu einem versöhnlichen Schlusswort durch: »Ich bin mir sicher, ihr habt diesen Mason-Fall genauso wenig vergessen können wie ich. Keine Frage, wir waren damals ja alle drei am Tatort. Aber wir dürfen unseren Fokus nicht nach hinten richten, wenn wir diesen neuen Fall aufklären wollen.«
»Oh toll, unser Fokus«, platzte es aus Hellmer heraus. »Kaum im Chefbüro, und schon war’s das mit der intuitiven Ermittlung, oder was?«
»Darauf antworte ich nicht«, entgegnete Julia kalt.
»Ich geb’s auf.« Hellmer stand auf und schritt in die am weitesten entfernte Ecke des großen Besprechungsraumes. Ungeachtet des Rauchverbots entzündete er sich eine Zigarette und starrte aus dem dick verglasten Fenster hinab auf den Hof. Julia schaute ihm kurz nach, blickte dann aber zurück in die Runde. Bloß nicht nachgeben jetzt, dachte sie, auch wenn ihr die neue Rolle plötzlich noch viel weniger schmeckte als ohnehin schon. Aber da musste sie jetzt wohl oder übel durch, und es war ausgerechnet Sabine Kaufmann, die sie erlöste und das betretene Schweigen durchbrach.
»Was Frank noch nicht erwähnt hat, ist die Sache mit der Musik«, eröffnete sie.
»Musik?« Julia Durant musste ihre Gedanken erst wieder auf den Fall konzentrieren, dann fiel ihr die Notiz an der Tafel ein. Stairway to Heaven, einer der besten Songs von Led Zeppelin, wobei Julia ja eher eine etwas härtere Gangart bevorzugte. Guns N’ Roses, Bryan Adams, aber nicht die Balladen, oder auch mal etwas Fetziges von den Stones. Von Led Zeppelin kannte sie nur eine Handvoll Songs, aber jeder, selbst ein passionierter Popmusik-Fan oder sogar die Schlagerfraktion, kannte diesen Riesenhit. »Okay, was hat es mit dem Song auf sich?«
»Ich bin mir sicher, ihn in Verbindung mit dem Mason-Fall bringen zu können«, erklärte Sabine Kaufmann, während sie sich nervös mit der Hand durch die Haare fuhr. »Aber«, fügte sie hinzu, »ich habe noch keine Ahnung, wie.«
»Gut, welche Verbindung könnte das sein?«, warf Kullmer ein, dessen Stirn schon seit einigen Minuten nachdenklich in Falten lag.
»Es müsste doch dokumentiert sein, wenn es da etwas gab«, rätselte auch Seidel. Sabine Kaufmann kaute an ihrem Daumennagel, und Julia Durant sah ihr an, dass sie sich offenbar schon intensiv, aber erfolglos mit dieser Frage auseinandergesetzt hatte. Sabine Kaufmann, gerade einmal dreißig Jahre alt, hatte bereits beachtliche Erfolge aufzuweisen, darunter beste Referenzen vom Sittendezernat. Außerdem sagte man ihr das sprichwörtliche fotografische Gedächtnis nach, eine Gabe, an die Julia Durant nicht wirklich glaubte, tatsächlich aber hatte Sabine Kaufmann ihren Blick für kleinste Details schon in manch verfahrenem Fall unter Beweis gestellt. Sie verdiente also eine
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