Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Julia Durant, und auch Doris Seidel staunte nicht schlecht.
»Sprachsynthese ist schon was Tolles«, erzählte sie. »Unsere Telefonanlage liest uns zum Beispiel SMS vor, das ist immer ein Heidenspaß, wenn wir Abkürzungen oder auch Tippfehler drinnen haben. Aber um auf die Stimme zurückzukommen, ich meine, wenn die mit Profisoftware aufgenommen ist, dann kann das praktisch überall passiert sein, oder?«
»Zumindest da, wo es diese Software gibt«, warf Julia ein.
»Also überall«, sagte Doris. »Ich werde mich noch mal mit der IT in Verbindung setzen, aber vermutlich bekommt man auch diese Art von Software ohne große Probleme illegal im Internet.«
Montag, 19.20 Uhr
H ellmer parkte den Porsche und stieg aus. Er streckte sich, ließ die Gelenke knacken, fühlte sich abgeschlafft und verspannt. Die Recherche in den Akten des Mason-Falles hatte sich als wenig ergiebig herausgestellt. Er hatte um 18 Uhr Feierabend gemacht, pünktlich, er wusste das deshalb so genau, weil er beim Starten seines Wagens noch die letzten Meldungen des Verkehrsfunks gehört hatte. Um diese Zeit war das Rhein-Main-Gebiet kein empfehlenswertes Fahrziel, selbst in den Ferien nicht. Trotzdem hatte Hellmer sich dazu entschieden, ein paar Umwege zu nehmen, um zu rauchen, die Musik aufzudrehen und den Kopf freizukriegen. Er verließ Frankfurt in nordwestlicher Richtung, passierte dabei das Nordwestzentrum und den neuen Campus der Universität, dann das Industriegebiet Niederursel, durchquerte Oberursel und den Eichwäldchentunnel, hinter dessen Ausfahrt die B455 eine lange Kurve schlug und die Abzweigung zum Feldberg auftauchte. Hellmer entschied sich gegen die Serpentinen, blieb auf der Bundesstraße und passierte Kronberg, den Opel-Zoo und Königstein, dort durchfuhr er den dreispurigen Kreisel einmal komplett und bog in Richtung Hofheim ab, von wo ihn der Weg zielstrebig durch Hattersheim nach Okriftel führte. Es war gerade so spät, dass der Verkehr an den zahlreichen Ampelkreuzungen wieder so weit zurückgegangen war, dass er ohne große Wartephasen durchkam. Doch obwohl er nun über eine Stunde lang versucht hatte, die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben, drehte sich in seinem Kopf noch immer alles um die Arbeit.
Nadine begrüßte ihn mit einem Kuss auf den Mund, es duftete würzig, und Frank Hellmer vermutete einen Auflauf im Ofen, verspürte jedoch nicht den geringsten Appetit.
»Du siehst so aus, als hättest du einen anstrengenden Tag hinter dir«, sagte seine Frau besorgt, umarmte ihn und er erwiderte die Umarmung mit einem festen Druck.
»Du glaubst gar nicht, wie anstrengend«, seufzte er.
»Ich spüre es gerade«, ächzte Nadine und begann sich zu winden.
»Oh, entschuldige«, lächelte Hellmer und ließ etwas locker.
»Jetzt weiß ich wenigstens, wie es sich anfühlen muss, wenn sich eine Boa constrictor um einen legt«, lachte Nadine. Vor einigen Wochen waren sie im Zoo gewesen, seit viel zu langer Zeit wieder einmal zu zweit, ohne Kinder. Nach dem Besuch der Würgeschlangen im Exotarium hatte Nadine plötzlich davon angefangen, ein Terrarium anschaffen zu wollen, doch Frank Hellmer war das alles andere als geheuer.
»Na, dann bist du davon hoffentlich geheilt«, sagte er trocken. »Macht es dir was aus, wenn ich vor dem Essen noch ein paar Bahnen schwimme? Mein Rücken wird es mir danken.«
»Kein Problem. Ich kann den Ofen runterstellen. Lass dir nur Zeit.«
Hellmer ging ein Stockwerk tiefer, entkleidete sich und sprang in das angenehm kühle Nass des Pools. Trotz der drückenden Hitze, die wie eine Dunstglocke über der Region lag, war die Luft erstaunlich frisch und lange nicht so feucht-warm und muffig, wie sie an kalten Wintertagen wirkte. Das sündhaft teure Klimasystem machte sich bezahlt.
Hellmer begann sofort mit voller Kraft zu kraulen und trieb sich Bahn für Bahn zur Höchstleistung an. Nach zehn Minuten verließ er keuchend das aufgewühlte Wasser, sein Herz raste, seine Schläfen pulsierten, und er verharrte für einen Augenblick, gerade so lange, bis er sich wieder ausreichend mit Sauerstoff versorgt fühlte. Auf zum Sandsack! Im Vorbeigehen griff er die roten Lederhandschuhe, die an der Garderobe hingen. Wie besessen malträtierte Hellmer den Sack, ein Hieb folgte dem nächsten, es waren harte, dumpfe Schläge, und er tänzelte dabei und wäre beinahe auf den glatten Fliesen ausgerutscht. Als ihm zum zweiten Mal die Puste ausging, ließ er sich nach vorn fallen und umklammerte den Ledersack
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