Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
diese Operation hatte Haugen ihn darüber aufgeklärt, warum er den Überfall versiebt hatte. Stringer war mitten am Tag mit einem Zettel in der Hand zu einem Bankangestellten marschiert. Das war zwar die klassische Vorgehensweise, führte aber nicht unbedingt zu den besten Ergebnissen. Nein, um wirklich Geld zu stehlen, musste ein Investmentbanker einem Hedgefondsmanager oder einem Derivatenhändler einen Zettel in die Hand drücken. Mit einem Lächeln und einer messerscharfen Stimme. In großem Stil. Mit über hundert Millionen Dollar. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn man es so machte, rückte man auf zu den Herren des Universums.
Auch bei Haugen hätte es eigentlich so kommen müssen.
Stringer behielt die Straße im Auge, ohne etwas zu sagen. Draußen wichen die Felder allmählich einer offenen Landschaft. Der trockene Sommer hatte das Gras golden verfärbt. Über die Hügel zogen sich Lebenseichen. In der Ferne, wo sich die Straße immer weiter hinaufwand, übernahmen Gelbkiefern die Herrschaft. Die Sonne brannte herunter, aber es wehte ein starker Wind, und vor den Bergen türmten sich Wolken.
Haugen schielte nach hinten zu Sabine. »Wir haben noch nichts von Von und Friedrich gehört.«
»Hier oben gibt’s kaum Funkmasten.«
Haugen drehte sich ganz nach hinten und funkelte sie an.
Sie richtete sich aus ihrer lässigen Pose auf. Sie hatte nicht nur die Skimaske abgenommen, sondern auch die blonde Perücke, und das jungenhaft kurze rote Haar stand gerade von ihrem Kopf ab wie Hirse auf einem Feld.
Haugen sprach leise und ausdruckslos. »Setz die Perücke wieder auf.«
»Die Fenster sind getönt.«
»Die Tarnung wird nicht aufgegeben.«
Träge, als wäre es ihre eigene Idee, streckte sie sich und griff nach der Perücke. Sie stülpte sie sich über den Kopf und strich sie langsam mit den Fingerspitzen glatt, während sie den Blick über ihn gleiten ließ.
»Schon besser«, bemerkte er.
Jetzt sah sie wieder mehr wie eine Frau aus. Die männliche Kraft war gebändigt. In Wirklichkeit wollte sie ihn nur verführen. Wie alle Frauen. Sie fuhren auf ihn ab, taten alles, um ihn zu kriegen. Sabine war da keine Ausnahme.
Obwohl sie durchaus eine Ausnahmeerscheinung war. Sie hatte einen MBA -Titel aus Wharton und hatte nach mehreren Jahren an der Frankfurter Börse achtzehn Monate lang als Wertpapierhändlerin für einen der großen Finanzakteure in der Londoner City gearbeitet. Sie war eine Magierin. Eine grausame, brutale, gierige Magierin mit einer absolut faszinierenden Skrupellosigkeit. Aber sie war auch loyal. Fanatisch und loyal im Hinblick auf das viele Geld, das ihnen winkte. Aber ihre Lust auf ihn – ihr Wunsch, nicht nur in sein Bewusstsein vorzudringen, sondern sich wie ein Wurm unter seine Haut zu bohren, bis er sie begehrte – war der Grund für ihre Loyalität zu ihm. Möglicherweise wollte sie das Geld irgendwann für sich haben, aber jetzt noch nicht. Nicht, solange sie der Vorstellung verfallen war, dass er sie lieben könnte.
»Ich weiß, dass die Funktürme hier dünn gesät sind«, sagte er. »Und dass der Empfang in den Bergen schwach ist. Sie hätten sich einen Festnetzanschluss suchen müssen, um zu telefonieren. Und zwar schon vor zehn Minuten. Schlam perei dulde ich nicht, das wissen sie genau. Ruf sie an.«
Sabine seufzte nicht und machte auch keine Schnute. Das rechnete er ihr hoch an. Ohne zu zögern, nahm sie ihr schnittiges kleines Telefon heraus und drückte mit einem manikürten Fingernagel Vons Nummer.
Sie legte das Handy ans Ohr und richtete den Blick auf Haugen. Als Teil ihrer Tarnung trug sie blaue Kontaktlinsen. Zusammen mit der blonden Perücke sprang ihm das Aquamarin förmlich entgegen. Ran. Ja, in ihrer Verkleidung sah sie wirklich aus wie die altnordische Göttin. Ihr war jeder Raub zuzutrauen.
Fünf Kilo abzunehmen konnte ihr allerdings nicht schaden. Nach diesem Wochenende wollte er sie sowieso in einen Kurort schicken. Dort sollte sich das schon regeln.
»Außer Reichweite«, meinte sie schließlich.
Das Auto schaukelte heftig durch eine Kurve. Stringer drückte aufs Tempo.
»Bleib unter dem Tempolimit«, mahnte Haugen. Dann wandte er sich wieder an Sabine. »Probier’s noch mal.«
Sabine reichte ihm das Telefon. »Hör selbst.«
Als sie sich vorlehnte, öffnete sich ihr Ausschnitt und zeigte das Tattoo.
Haugen spürte ein Prickeln an den Schläfen. »Mach das zu.«
Reglos hielt sie ihm weiter das Handy hin. Er hörte das Läuten. Sie bewegte sich
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