Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
kleinen Kindern.
Zwischen den tiefen Schatten, die der nächste Blitz warf, entdeckte sie Spuren: Stiefel und Hufe.
Sie folgten alten Reifenfurchen.
Kyle war zum Haus des Ranchers aufgebrochen. Vielleicht hatte er es auf dessen Familie abgesehen. Taumelnd rappelte sie sich hoch und jagte ihm nach.
K yle trat die Tür zu John Yarrows Ranchhaus ein, das aus knorrigem Kiefernholz gebaut war. Die Lichter waren aus. Es war kalt.
Mit erhobener Schrotflinte stürmte er durch ein Zimmer nach dem anderen. Er riss Schranktüren auf und spähte unter Betten. Wer hier vielleicht glaubte, mit Versteckspielen die eigene Haut retten zu können, würde eine böse Überraschung erleben. Aber wenn Yarrow tatsächlich einmal Frau und Kinder gehabt hatte, dann war das lange her. In der Küchenspüle stand nur ein Teller. Nur ein Glas trocknete auf dem Abtropfgestell.
Im Kühlschrank fand er einen Teller mit Huhn und machte sich mit bloßen Händen darüber her. Er trank einen Liter Milch und warf den Karton auf den Boden. Beim Stöbern in Yarrows Schlafzimmer fand er ein T-Shirt und ein schweres Flannellhemd. Die Sachen hätten ihm früher gut gepasst, als er jung und dick gewesen war. Aber sie waren sicher warm. Im vorderen Schrank entdeckte er eine braune Öljacke. Gut. Ihm stand eine arschkalte Nacht bevor.
Das Polohemd von Edge Adventures schleuderte er von sich. Auch von Kyle Ritter verabschiedete er sich. Welchen Namen er benutzte, spielte keine Rolle mehr. Ruben Kyle Ratner, Kyle Ritter, Red Rattler – ihm war das völlig egal. Sein Führerschein hatte ausgereicht, um die Leumundsprüfung bei Edge Adventures zu bestehen, aber die Angaben auf diesem Dokument stimmten ja auch nicht mit denen im kalifornischen Strafregister überein.
Zuletzt ließ er die farbigen Kontaktlinsen herausschnappen. Im Badspiegel musterte er seine Augen. Der weiße Ring um die blaue Iris des linken Auges stellte in medizinischer Hinsicht einen Defekt dar. Arcus juvenilis. Er beeinträchtigte nicht seine Sehfähigkeit, aber er hatte eine durchschlagende Wirkung auf willensschwache und abergläubische Menschen. Weißes Feuer schlängelte sich um sein blaues Auge. Eine Waffe, die er zu nutzen wusste.
Draußen verwischte ein weißer Blitz die Wolken, und der Donner schepperte. Regen prasselte gegen die Scheiben. Er durchwühlte Schubladen und Schränke, doch die Schrotflinte war anscheinend Yarrows einzige Schusswaffe. In einer Küchenschublade stieß er auf eine Schachtel Patronen, die er in die Taschen der Öljacke leerte.
Dann machte er sich auf die Suche nach dem Telefon.
Sein Handy hatte noch immer kein Signal. Deshalb konnte er nicht erkennen, ob Jo Beckett den Köder in seiner SMS geschluckt hatte und ihm heraus aus der Schlucht gefolgt war. Komm, Kitty, Kitty. Komm hierher, ganz allein. Er scrollte durch sein Telefonverzeichnis, bis er die gesuchte Nummer entdeckte.
Dann wählte er auf Yarrows Festnetzanschluss.
Eine Frauenstimme meldete sich. »Ja?«
»Ich habe Autumn Reiniger und ihre Freunde im Visier. Wenn ihr das Geld wollt, müsst ihr mit mir reden.«
29
Sabine ließ das Telefon sinken. »Dane, das musst du dir anhören.«
In der zunehmenden Dämmerung dröhnte der Volvo über die zweispurige Forststraße, die sich durch den Kiefernwald hinauf in die Berge wand. Schmatzend rieben die Scheiben wischer über das Glas. Vom Fahrersitz warf ihr Haugen einen fragenden Blick zu.
Sabines Gesicht wirkte ernst im Schein der Armaturenbeleuchtung. Sie stellte das Handy auf Lautsprecher. »Wiederholen Sie das bitte.«
Undeutlich schälte sich eine Stimme aus dem statischen Knistern. »Jetzt bin ich am Drücker.«
Haugen fuhr herum. »Ratner?«
»Überraschung, Überraschung.«
»Was willst du?« Haugen hatte ein mulmiges Gefühl. »Wo bist du?«
»Spielt keine Rolle, jedenfalls bin ich dir weit voraus. Da, wo ich Autumn Reiniger und ihren Freunden ein Grab schau feln kann, das du nie finden wirst. Egal was du für eine Num mer abziehst, ab jetzt geht es in eine neue Richtung. In meine.«
Ein Regenschwall verdeckte Haugen die Sicht. Er versuchte, gelassen zu bleiben. »Wovon redest du überhaupt?«
»Damit hast du nicht gerechnet, oder? Ich war dabei bei Miss Reinigers Geburtstagsausflug. Anscheinend hat sie eine Phobie, also hat ihr Daddy Edge Adventures gebeten, diesen Aspekt in das Szenario einzubauen. Und die Leute von Edge haben sich selbst übertroffen. Sie haben den Typen gefunden, der die Phobie … wie sagt man …
Weitere Kostenlose Bücher