Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
gestört habe. Dann
willst du morgen wahrscheinlich auch nicht hören, was ich von Dr. Joyce erfahren habe?«
»Tu, was du für richtig hältst, Matt. Was ich sage, spielt sowieso keine Rolle.«
Zuerst war ein gemurmeltes Schimpfwort zu hören, dann das Krachen von irgendetwas, das umfiel, und schließlich herrschte Stille. Sein Bruder hatte aufgelegt.
Cooper stellte fest, dass sein Blick nach vorn gerichtet war. Und da war Sergeant Joe Cooper, der ihn von seinem Platz in der zweiten Reihe anstarrte, zwischen all den anderen Polizisten mit ernstem Gesichtsausdruck, die sich in ihrer besten Uniform aufgereiht hatten, um sich fotografieren zu lassen.
Es war wirklich seltsam. Er hatte so oft darüber nachgedacht, dass sein Leben von Joe Coopers Erbe diktiert und überschattet wurde. Jeder, der seinen Vater gekannt hatte, sagte, wie ähnlich sie sich seien. Er machte einen ähnlichen Job im selben Ort und hatte oft mit denselben Personen zu tun, denen bereits sein Vater begegnet war.
Manchmal hatte Ben das Gefühl, als sei er ein Klon, ein wandelnder Träger des Genmusters seines Vaters. Er hatte sich noch nie ernsthafte Gedanken gemacht, was er von seiner Mutter geerbt haben mochte oder welche ihrer Chromosomen ihm bei der Empfängnis zugeteilt worden waren. Ihre Haarfarbe, ja. Ihre Augen, vielleicht. Doch was lauerte noch in seiner DNA, dessen er sich gar nicht bewusst war? Welche genetischen Veranlagungen mochte er in sich tragen, die er womöglich an zukünftige Generationen weitergeben würde? Seine Eltern waren beide Teil seiner Natur. Und das bedauerte er nicht. Doch die Gefühle, die dieser Gedanke wachgerufen hatte, waren zwiespältig.
Er wandte seine Aufmerksamkeit von dem Foto ab und richtete sie auf den Richard-Martin-Druck von Win Hill an der angrenzenden Wand. Normalerweise brachte ihn die
Landschaft zurück auf den Erdboden, wenn er sich zu sehr in Gedanken verlor. Sprichwörtlich zurück auf den Erdboden.
Dann lachte Ben in sich hinein. All die Besorgnis setzte voraus, dass er irgendwann einmal heiraten oder sich dauerhaft binden würde. Im Moment hegte er keine solchen Absichten, und vielleicht war das auch gut so. Er hätte es schrecklich gefunden, in Matts Situation zu sein und die fürchterlichen Möglichkeiten zu entdecken, wenn es bereits zu spät war.
»Es ist hübsch hier, aber Städte sind mir trotzdem lieber«, sagte Kotsev, als sie nach dem Essen am Fluss spazieren gingen. »In Sofia wären die Straßen um zehn Uhr abends voll, auch an einem Donnerstag. Leute würden Sonnenblumenkerne oder gesalzene Maiskolben verkaufen. Auf Tapeziertischen würden Bücher angeboten werden. Aus den Verkaufsbuden, die raubkopierte CDs anbieten, würde laute Musik ertönen. Ein paar gefälschte Rolex-Armbanduhren oder Levi’s-Jeans vielleicht. Bettler und Straßenkünstler, Taschendiebe und Prostituierte. Es wäre wie auf einer Party. Hier ist dagegen überhaupt nichts los.«
Fry sah ihn prüfend an und fragte sich, ob er einen Scherz gemacht hatte. Manchmal war das schwer zu beurteilen. Sie konnte nur dann einen Hinweis bekommen, wenn sie ihm in die Augen sah. Als Kotsev merkte, dass sie ihn anstarrte, lachte er.
»Gefällt Ihnen das Leben in Sofia?«
»In vielerlei Hinsicht, ja.«
»Dann ist also doch nicht alles eine große Party?«
»Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, Diane. In dem Vorort von Sofia, wo ich als junger Polizist gewohnt habe, waren wir in einem alten Wohnblock aus der Sowjet-Ära untergebracht. Sehr grau und sehr hässlich. Wir hatten eine Zwei-Zimmer-Wohnung für die ganze Familie. Aber wir hatten Glück. Einige
unserer Nachbarn hatten viel mehr Kinder – sie mussten Matratzen in die Küche, ins Wohnzimmer und auf den Balkon legen. Jeder Laden in der Gegend hatte bunte Aufkleber an der Tür, die verrieten, bei welcher Mafia-Schutzagentur der Besitzer versichert war. Das war völlig normal. So lebten alle, und wir hatten Verständnis dafür.«
»Ich glaube nicht, dass ich dafür Verständnis hätte, Georgi. Eine solche Situation würde hier nicht toleriert werden, nicht einmal in unseren schlimmsten Gegenden.«
»Manche Leute behaupten, die Macht der Mafia wäre eine notwendige Phase in der Entwicklung zu einer kapitalistischen Volkswirtschaft«, sagte Kotsev und neigte den Kopf fragend zur Seite.
»Ich halte das für Blödsinn.«
Er blieb stehen und balancierte an der Steinkante am Fluss. Fry kam der Gedanke, dass es womöglich unvorsichtig von ihr war, sich nachts
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