Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
mit einem Mann, den sie erst seit ein paar Stunden kannte, an einem verlassenen Ort aufzuhalten. Doch sie fühlte sich überhaupt nicht unbehaglich. So stattlich Kotsev auch war, sie hätte ihn vermutlich mit Leichtigkeit überwältigen können. Sie hatte ihre Fähigkeiten noch nicht ganz verloren.
»Sie sollten wissen, wie der KGB damals operiert hat«, sagte er und starrte ins dunkle Wasser. »Er hat sich osteuropäischer Geheimdienste als Werkzeug bedient. In Bulgarien hat sich die Darzavna Sigurnost auf sogenannte ›feuchte‹ Einsätze spezialisiert – auf Auftragsmorde. Erinnern Sie sich an den Fall Markov? Er hat sich vor einigen Jahren ereignet, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Vermutlich vor Ihrer Zeit.«
»Danke, Georgi, aber ich habe von dem Fall gehört. Er war ein bulgarischer Überläufer, oder?«
»Ja. Und nachdem er übergelaufen war, wurde er ermordet. Am helllichten Tag auf einer Straße mitten in London. Es heißt, ihm wurde mit der Spitze eines Regenschirms das
Gift Rizin injiziert. Außerdem heißt es, der Mord sei vom bulgarischen Geheimdienst verübt worden. In Bulgarien würde dem niemand widersprechen.«
»Ja, aber trotzdem...«
»Einem anderen Dissidenten wurde in der Nähe des Arc de Triomphe in Paris eine vergiftete Kugel in den Rücken geschossen. Auch bei diesem Zwischenfall wurde Rizin verwendet.«
»Aber …«
Kotsev hob die Hand. »Moment. Dann gab es noch den Mordversuch an Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981. Erinnern Sie sich? Es wurde behauptet, die Darzavna Sigurnost hätte die Attentäter rekrutiert, die die Schüsse abfeuerten – zwei Türken. Als einer der beiden von den Italienern gefasst wurde, erhob er Anschuldigungen gegen unseren Geheimdienst. Doch nachdem er eine Zeit im Rebibbia-Gefängnis in Rom gesessen hatte, wo ihm angeblich bulgarische Agenten gedroht hatten, nahm er die Anschuldigungen zurück. Anschließend gab er dem Vatikan selbst die Schuld für das Komplott.«
»Trotzdem, Georgi...«
Kotsev lachte. »Ja, Sie haben recht. Trotzdem. Ich glaube ebenso wenig wie Sie, Sergeant, dass unser geliebter Geheimdienst in die Ermordung von Dimitar Iliev verwickelt war.«
»Wer war es dann? Simcho Nikolov?«
»Na ja, diese Morde wurden vermutlich von jemandem aus der Gegend verübt, von einem bezahlten Killer. Von jemandem wie Simcho Nikolov vielleicht. Aber es ist möglich, dass sie von einem bedeutenden bulgarischen Bandenboss in Auftrag gegeben wurden, von jemandem, der zur verbliebenen Mafia gehört. Von einem Mann, der sehr mächtig ist – vor allem jetzt, nachdem einige seiner größten Widersacher ermordet wurden. Von einem Mann mit Freunden an hoher Stelle.«
Fry führte einen kurzen inneren Kampf zwischen ihrem eigenen Ehrgeiz und den ihr bekannten Vorschriften. Schließlich seufzte sie. »Das ist wirklich eine Angelegenheit für die Special Branch oder den MI5 – das sind unsere Spezialisten für organisiertes Verbrechen. Sie werden sie morgen bei einer Besprechung über die Brüder Zhivko in Chesterfield treffen.«
»Das mit den Zhivkos ist kein Verlust«, sagte Kotsev mit einem leisen Anflug von Enttäuschung.
Sie kamen bei der Stelle an, wo das Wasser über ein Wehr floss und sich kleine bewaldete Inseln im Fluss befanden, die mit schlafenden Vögeln bevölkert waren. Selbst zu dieser Zeit am Abend hielten sich Leute am Fluss auf und genossen eine Oase des Friedens im Schatten der St.-Mark’s-Kirche. Kotsev blieb abermals stehen.
»Wir haben in Pleven auch Sehenswürdigkeiten«, sagte er und bewunderte das Spiegelbild des beleuchteten Kirchturms im Wasser.
»Tatsächlich?«
»Oh, ja. Falls Sie jemals unsere Stadt besuchen, müssen Sie sich unbedingt unser berühmtes Pleven-Panorama ansehen – es ist weltweit das größte Bauwerk seiner Art. Sogar noch größer als das Borodino-Panorama in Moskau.«
»Aha.«
Fry war sich nicht ganz sicher, was ein Panorama war. Sie hatte immer geglaubt, man verstünde darunter den Ausblick auf die Landschaft vom höchsten Punkt eines Hügels, wie Ben Cooper ihn so liebte. Doch Georgi schien von etwas anderem zu sprechen.
»Das Pleven-Panorama erzählt eine bedeutende Geschichte. Vom tragischen Schicksal unseres Volkes, von seinem dramatischen Kampf und vom Mitgefühl in den Herzen unserer russischen Brüder. Im Panorama sieht der Besucher einen Angriff der türkischen Kavallerie, rauchende Granaten, brennende Feuer in der Stadt und wie der russische General Skobelev
eine türkische Festung
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