Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
ihn die Stimmen vielleicht treiben werden, und sich der Möglichkeiten bewusst sein, die ihm bleiben, um sich zu retten und zu vermeiden, dass er sich wieder in das schreckliche Monster verwandelt, für das er sich früher gehalten hat.«
»Eine Möglichkeit fällt mir ein«, sagte Cooper und hielt dem Blick seines Gegenübers stand. »Vielleicht meint er, nur dadurch verhindern zu können, dass er sich wieder in dieses Monster verwandelt, indem er seinem Leben ein Ende setzt.«
Sinclair nickte. »Ja, da haben Sie recht. John Lowther ist eine viel größere Gefahr für sich selbst als für irgendjemand anderen.«
»Vielen Dank.«
Als Cooper sich erhob, um zu gehen, schien Sinclair wieder von seinem Skript abzuweichen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. »Es ist von größter Wichtigkeit, Mr. Lowthers Denkprozesse zu begreifen, wissen Sie, Detective Constable.«
»Warum, Sir?«
»Weil sie contraintuitiv sind.« Der Psychiater machte eine müde Geste. »Mir ist klar, dass das schwer zu verstehen ist.
Die meisten von uns wissen, was es heißt, Angst davor zu haben, zu sterben. Aber man begegnet nur selten jemandem, der Angst davor hat, zu leben.«
Fry kam ins Büro hereingeplatzt, da sie unbedingt wissen wollte, ob Cooper schon von seinem Besuch bei Dr. Sinclair zurück war. Doch Murfin nahm gerade einen Anruf entgegen, als sie durch die Tür trat. Er hatte die Augen weit aufgerissen, und sie sah ihn erwartungsvoll an, als er den Hörer auflegte.
»Nach Auskunft der Behörden in Pleven wurde der Adoptionsantrag der Mullens nie vollständig bearbeitet«, sagte er.
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass sie den Adoptionsvorgang nicht abgeschlossen haben. Anscheinend gab es irgendwelche rechtlichen Probleme mit den Papieren, und ihr Antrag wurde vom Gericht abgelehnt.«
»Und was ist aus Zlatka Shishkova geworden?«
»Sie behaupten, dass sie uns das aus Gründen der Vertraulichkeit nicht sagen können. Aber eines ist sicher – sie wurde nicht von den Mullens adoptiert.«
Fry starrte ihn fassungslos an und fragte sich, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
»Woher kam ihr Baby dann?«, fragte sie. »Und wer, zum Teufel, ist Luanne?«
31
D ie Bar des Mulberry Tree in der West Street war am Nachmittag verlassen, nachdem der Mittagsansturm vorüber war. Eigentlich lohnte es sich kaum, dass sie überhaupt geöffnet hatte, doch es ging dabei offensichtlich ums Prinzip. An diesem Nachmittag waren nur zwei Gäste anwesend – und einer der beiden war nur widerwillig gekommen.
Georgi Kotsev lächelte Diane Fry einen Augenblick lang an und legte eine kräftige braune Hand wie ein Geschenk zwischen sich und ihr auf den Tisch.
»Babyschmuggel«, sagte er. »Das ist sehr bedauerlich.«
»Ist das das Wort, das Sie dafür verwenden?«
»Verzeihung. Vielleicht ist mein Englisch unzureichend.«
»Nein, es ist gut, Georgi.«
Fry konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal in einer Bar mit so wenig Atmosphäre gesessen hatte. Die Wände waren in gedämpften Pastellfarben gestrichen, die Einrichtung im nachgemachten georgianischen Stil gehalten, und an der Decke hingen prunkvolle Kronleuchter. Die Sessel waren mit Kunstleder bezogen und so tief, dass sie nach vorn an die Kante rutschen musste, um aufrecht sitzen zu können. Kotsev ließ sein Wodkaglas aus Höflichkeit unberührt, nachdem sie abgelehnt hatte, als er ihr etwas zu trinken angeboten hatte.
»Bis 2004 galt der Verkauf von Babys in Bulgarien nicht als Verbrechen«, sagte er. »Selbst jetzt begeht eine Frau, die ihr Baby verkauft, offiziell keine Straftat. Laut Gesetz gilt sie als Opfer.«
»Aber was ist mit den Schiebern? Den Mittelsmännern?«
»Ja, ihr Handeln ist inzwischen ein kriminelles Delikt. Wenn sie gefasst werden, droht ihnen ein Jahr Gefängnis.«
» Ein Jahr ? Soll das ein Witz sein?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Die Dinge verändern sich. Aber für manche vielleicht nicht schnell genug.«
»Warum verkauft eine Mutter ihr Baby, Georgi?«
»Weil Babys ein wertvolles Handelsgut sind. Es kommt vor, dass Mütter ein Kind verkaufen, damit sie sich ein Haus kaufen oder ihre übrige Familie eine Zeit lang ernähren können.«
»Es kann doch nicht so einfach sein, Babys aus dem Land zu schmuggeln, oder?«
»Was? Bulgarien hat fünf Grenzen – nach Rumänien, Serbien, Mazedonien, Griechenland und zur Türkei -, und die sind alle löchrig wie ein Sieb. Und wir haben die Schwarzmeerküste mit ihren
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