Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live

begrüßen, wenn Sie in der Lage wären, Leute dazu zu zwingen, ihre Tabletten zu nehmen?«
    »Detective Constable, jedes Jahr werden fünfzigtausend Patienten von Psychiatern zwangseingewiesen. Da wir sie nicht zwingen können, ihre Medikamente einzunehmen, nachdem sie wieder in die Gemeinschaft entlassen worden sind, werden manche von ihnen erneut sehr krank und müssen ein zweites
Mal zwangseingewiesen werden oder sogar ein drittes Mal. Das geht einfach immer weiter.«
    »Der Drehtür-Effekt. Das beobachten wir oft genug vor Gericht.«
    »Das glaube ich Ihnen gerne«, sagte Sinclair. »Außerdem ist John Lowther nicht gefährlich, es sei denn, er hat tatsächlich aufgehört, seine Medikamente zu nehmen. Und selbst dann stellt er nur eine Gefahr für sich selbst dar. Sie sagten, seine Schwester ist gestorben? Das Trauma ihres Todes könnte seine normale Routine durcheinandergebracht haben. Es könnte leicht sein, dass er sich gehen lässt. Hoffentlich ist es noch nicht so weit, dass ihm alles egal ist.«
    »Dr. Sinclair, falls John Lowthers Psychoseschübe zurückgekehrt sind, wären die Halluzinationen dann genauso stark wie früher?«
    »Möglicherweise sogar stärker. Um ehrlich zu sein, wäre ich bei meinem nächsten Gespräch mit ihm vielleicht sogar zu dem Schluss gekommen, dass er unter einer behandlungsresistenten Form dieser Erkrankung leidet.«
    »Was hätten Sie dann unternommen?«
    »Ein anderes Medikament ausprobiert. Wahrscheinlich Clozapin.«
    Sinclair nahm ein Taschentuch aus einer Schachtel auf seinem Schreibtisch und wischte sich damit einen Schweißtropfen von der Schläfe. »Da wäre noch eine Sache, die relevant sein könnte...«
    »Sprechen Sie weiter, Sir.«
    »Als Mr. Lowther damals in die Station eingewiesen wurde, litt er zusätzlich unter Nachtschreck.«
    »Meinen Sie damit Albträume?«
    »Nein, Nachtschreck. Albträume treten während des REM-Schlafs auf, Nachtschreck hat man im vierten Schlafstadium. Der Unterschied besteht darin, dass man sich an Albträume erinnern kann, an Nachtschreck dagegen nicht. Diese sind ein
unterbewusstes Phänomen – aber nicht weniger aufreibend, sowohl physiologisch als auch emotional.«
    »Und die sind ebenfalls zurückgekehrt?«
    »Möglicherweise.«
    »Wäre es in John Lowthers Fall an der Art und Weise, wie er spricht, zu erkennen, dass sich sein Zustand verschlechtert hat?«
    »Ja, Mr. Lowther leidet unter Denkstörungen, ein weiteres Symptom von Psychose. Das äußert sich darin, dass der Patient schnell und ohne Unterbrechungen spricht oder mitten im Satz das Thema wechselt. Letztendlich sagt er womöglich völlig zusammenhanglose Dinge, benutzt unpassende Wörter, spricht sie falsch aus oder erfindet völlig neue Wörter.«
    Cooper hatte versucht, sich Notizen zu machen, während der Psychiater sprach. Doch sein Kugelschreiber versagte, und er blickte auf.
    »Wären Sie bereit, sich die Tonbandaufzeichnung von einem Gespräch anzuhören, das wir mit Mr. Lowther geführt haben, und uns Ihre Meinung dazu zu sagen?«
    »Sicher, wenn Sie denken, dass das etwas helfen würde.«
    »Wie wird John Lowther Ihrer Ansicht nach voraussichtlich auf die gegenwärtigen Umstände reagieren?«
    »Das ist schwer zu sagen. Er befindet sich vermutlich in einem ziemlich unberechenbaren Zustand. Aber in einer Hinsicht bin ich mir sicher: Er muss sehr große Angst haben.«
    »Angst wovor? Vor uns?«
    Sinclair lächelte. »Wohl kaum. Im Moment sind Sie sein geringstes Problem.«
    »Wovor dann?«
    Sinclair setzte seine Brille ab und klappte die Akte zu. Dann spielte er mit den Gegenständen auf seinem Schreibtisch herum und brachte sie in eine zufriedenstellendere Anordnung.
    »Vermutlich hat John Lowther vor allem Angst vor sich selbst«, sagte er. »Vor seinen inneren Dämonen, wenn Sie so
wollen. Welche Gestalt diese Dämonen auch immer annehmen mögen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich tue mein Bestes, um es Ihnen zu erklären. Sehen Sie, Mr. Lowther kennt die Stimmen aus der Vergangenheit, obwohl er vermutlich versucht hat, dieses Wissen zu unterdrücken. Wenn er die Medikamente abgesetzt hat, werden seine auditorischen Halluzinationen zurückkehren. Vielleicht sind sie schon zurückgekehrt.«
    »Was bedeutet das für ihn?«
    »In diesem Stadium müsste er noch klar genug denken können, um zu verstehen, was mit ihm geschieht, und sich darüber im Klaren zu sein, dass sich sein Zustand weiter verschlechtern wird. Er wird den Schrecken dessen ins Auge sehen, wozu