Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Angst haben. Man kann nur vor etwas Angst haben, das noch nicht geschehen ist.«
Als Cooper das Tonband für ihn vorbereitete, hielt er inne, bevor er die »Play«-Taste drückte. Verdammt richtig, dachte er. Deshalb gab es so viele Dinge, vor denen man Angst haben musste.
»Angst davor, zu leben«, sagte er. »So haben Sie Mr. Lowthers derzeitige Geistesverfassung beschrieben.«
»Das ist richtig.« Sinclair blickte auf. »Wer dieses Konzept nicht versteht, hat nicht gelernt zu erkennen, was im Kopf anderer Menschen vorgeht. Manche empfinden das Leben als unerträglich und jeden Tag als eine Qual. Sie kommen zu der Überzeugung, dass sich das Leben in Zukunft als eine solche Tortur erweisen wird, dass der Tod der einzig mögliche Ausweg ist.«
Cooper fiel darauf keine Antwort ein. Er startete das Tonband, und sie lauschten dem Gespräch mit John Lowther einige Minuten lang schweigend.
» Ja, manche Leute fahren ins Ausland und machen Jagd auf Huren. Nein – auf Babys. «
» Wie bitte? «
» Ich bin mir nicht sicher, was Sie mich gefragt haben. Ist es schon Zeit? «
»Ich glaube, er fasst hier zwei Themen zusammen«, sagte Sinclair. »Die Sache mit den Huren und mit den Babys, meine ich.«
»Ich habe mich gefragt, ob John Lowther ein Pädophiler sein könnte. Was denken Sie, Doktor?«
Sinclair schüttelte energisch den Kopf. »Nein, dafür gibt es keinerlei Anzeichen.«
»Sind Sie sicher? Ich bin kein Psychiater, aber für mich ist die Assoziation zwischen ›Huren‹ und ›Babys‹ äußerst fragwürdig. Mir ist schon klar, dass Mr. Lowther nicht genau weiß, was er sagt, aber bezeichnet man so etwas nicht als Freudschen Versprecher?«
»Freud hat damit nichts zu tun. Sie verstehen nicht, wie das funktioniert. Das, womit wir es hier zu tun haben, ist keine Assoziation von Gedanken, sondern eine Disassoziation. Mr. Lowthers Gehirn wechselt so schnell zu einem anderen Thema über, dass aus Sicht des Zuhörers keine Unterscheidung
oder Abgrenzung stattzufinden scheint. Das gilt nicht für den Patienten – sein Gehirn stellt einfach nicht die normalen Verbindungen her, so wie unser Gehirn es tun würde. Vermutlich sagt Mr. Lowther Worte, die so klingen wie diejenigen, die er denkt.«
»Okay. Noch etwas?«
Cooper drückte abermals die »Play«-Taste, und sie hörten sich den Rest des Gesprächs an. Sinclair machte sich ein paar Notizen.
»Ja, ich glaube, wir können in diesem Gespräch Beispiele für Logorrhoe hören, wenn der Patient schnell und unablässig spricht. Und für Inkohärenz beziehungsweise Ideenflucht, wenn er das Thema wechselt, manchmal mitten im Satz. Dabei kann es sich um eine Reaktion auf einen äußeren Stimulus handeln.«
» Ihre Krawatte gefällt mir .«
»Ja, solche Dinge. Man kann auch ein gewisses Maß an Tangentialität erkennen, wenn er auf Fragen indirekte oder irrelevante Antworten gibt. Ich kann mir vorstellen, dass das für Sie in Ihrem Beruf vermutlich äußerst verdächtig und ausweichend klingt.«
Cooper nickte. Ausweichend war genau das Wort gewesen, das er für John Lowther nach dem Gespräch verwendet hatte.
»Bei dieser Art zu sprechen kommt er zu unlogischen Schlussfolgerungen, oder seine Gedanken ziehen überhaupt keine Schlüsse. Manchmal sind die einzelnen Wörter korrekt, aber die Art und Weise, wie sie kombiniert werden, ist verkehrt, woraus etwas resultiert, was manche Psychiater als ›Wortsalat‹ bezeichnen. Die Verbindung zwischen Wörtern wird eher von Klängen bestimmt als von ihrer Bedeutung – man nennt das ›Klangassoziation‹. Unter Umständen wiederholt er ein Wort auch immer wieder oder plappert nach, was jemand anderer gesagt hat.«
»Dieses Durcheinander beim Sprechen war bereits vor ein paar Tagen bei ihm zu beobachten.«
»Tatsächlich?« Sinclair runzelte die Stirn. »Das variiert natürlich von Patient zu Patient. Aber vielleicht hat er seine Medikamente früher abgesetzt, als wir dachten.«
»Wird das noch schlimmer werden?«
»Ja, wenn sich sein Zustand verschlechtert, wird er womöglich zusammenhangslos sprechen, unpassende Wörter verwenden, sie falsch aussprechen oder völlig neue Wörter erfinden.«
» Jagd auf Huren. Nein – auf Babys. «
Sinclair zuckte mit den Schultern. »Es ist unmöglich, zu deuten, was Mr. Lowther wirklich meint, ohne ihn hier zu haben, um ein ordentliches Gespräch mit ihm führen zu können.«
Cooper wurde wütend. »Ein was ?«
»Verzeihung. Ich meinte ein ordentlich strukturiertes,
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