Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
drückt, wird er von einer winzigen Kamera gefilmt und ist hier auf diesem Bildschirm zu sehen.«
»Damit die Hausbesitzerin den Postboten sehen konnte und wusste, dass es sich nicht um einen Betrüger handelt.«
»So ist es.«
Cooper warf noch einmal einen Blick auf den Leichnam, während das Gespräch um ihn herum weiterlief. Die Stimmen hallten im Haus seltsam wider, als sei es nicht vollständig eingerichtet. Das Mobiliar war tatsächlich ziemlich spärlich. In den Zimmern, die er bislang gesehen hatte, befand sich nichts Überflüssiges oder Nutzloses. Das erinnerte ihn daran, als er seine eigene Wohnung in der Welbeck Street erstmals besichtigt hatte. Möbliert, aber trotzdem leer. Leer, weil niemand darin wohnte.
Irgendwie war es ihm unangenehm für die Tote, dass sie so auf dem Fußboden lag. Er wusste nichts über Rose Shepherd, war sich jedoch sicher, sie hätte es gehasst, dass sie jemand so sah. Ihr graues Haar war zerzaust und fiel ihr in losen Strähnen ins Gesicht. Sie hatte den Mund offen, und auf ihren Lippen war eine Speichelspur getrocknet. Auf den Fotos der Spurensicherung würde ein kleiner Riss im Nachthemd der Toten
zu sehen sein sowie das blasse, faltige Fleisch auf der Rückseite ihrer Oberschenkel. Der Blitz würde ihre Krähenfüße an den Augenwinkeln, ihre schlaffe Haut am Hals und die ersten Altersflecken auf dem Rücken der Hand, die sich in den Bettvorleger krallte, erbarmungslos zur Schau stellen. Der Tod war für die äußere Erscheinung nicht gerade förderlich. Doch genauso würde Miss Shepherd verewigt werden.
Kessen kam zurück ins Schlafzimmer und sah aus dem Fenster. »Korrigieren Sie mich, wenn ich mich täusche«, sagte er, »aber hier steckt anscheinend eine ganze Menge Geld drin, nicht wahr?«
Abbott nickte. »Allein die Sprechanlage hat bestimmt ein paar hundert Pfund gekostet. Und wahrscheinlich noch mal das Doppelte für die Installation am Tor.«
»Es sieht also so aus, als ob die Tote unbedingt wissen wollte, wer bei ihr klingelt, oder?«
»Wir haben bereits mit der Befragung der Anwohner begonnen. Aber bislang waren sich alle, mit denen wir gesprochen haben, in Bezug auf eine Sache einig: Miss Shepherd hat nie Besuch bekommen. Außer vom Postboten – und selbst der ist nie weiter als bis zum Tor gekommen.«
»Überhaupt keinen Besuch?«
»So heißt es.«
»Nein. Wir haben bloß noch nicht mit den richtigen Leuten gesprochen«, sagte Kessen.
»Warum?«
»Na ja, das kann doch nicht sein, oder, Paul? Sie besitzen doch selbst ein Haus. Was ist mit all den Leuten, die kommen? Die Müllmänner, die die Tonne leeren, der Tankwagenfahrer, der Heizöl liefert, der Mann, der den Stromzähler abliest. Niemand kann einen Festungsgraben um sein Haus ziehen und sich alle vom Leib halten. Heutzutage ist das einfach nicht mehr denkbar. Das Leben hat alle möglichen Methoden, um einzudringen.«
»Trotzdem hat sich Rose Shepherd anscheinend völlig abgekapselt. Sie hat allein gewohnt, und nach allem, was man hört, hatte sie keinerlei Kontakt zu ihren Nachbarn. Niemand in der Pinfold Lane weiß, wer Miss Shepherds nächster Angehöriger ist oder ob sie überhaupt Verwandtschaft hat. Neben dem Telefon im Erdgeschoss haben wir zwar ein Adressbuch gefunden, aber es steht niemand drin, der auf den ersten Blick als Angehöriger zu erkennen ist. Offenbar handelt es sich bei allen Einträgen um routinemäßige Daten – Hausarzt, Zahnarzt, eine Autowerkstatt in der Gegend.«
»Im Haus muss doch irgendetwas sein, das uns Namen verrät. Ein Tagebuch, Briefe...?«
»Tja, wir suchen noch. Aber irgendwie ist das schon merkwürdig. Eigentlich wäre doch zu erwarten, dass sie solche Informationen an einem naheliegenden Ort aufbewahrt hat. Warum lässt sie uns danach suchen?«
»Versuchen Sie es mal mit einer Telefonrechnung. Überprüfen Sie, welche Nummern sie besonders oft angerufen hat, wer auf ihrer Liste mit Verwandten und Freunden gestanden hat.«
»Ja, Sir.«
»Wie lange hatte sie hier gewohnt? Wissen wir das?«
»Die Nachbarn sagen, ungefähr ein Jahr. Miss Shepherd ist allein eingezogen, und nichts deutet auf einen Ehemann hin. Einen geheimen Liebhaber, der sich durch die Hintertür hineingeschlichen hat, gab es auch nicht.«
»Wenn der Liebhaber geheim gewesen wäre, wüsste ja auch niemand von ihm, oder?«
»Das hier ist ein kleiner Ort«, sagte Hitchens, als ob das alles erklären würde.
»Ich finde, dieses Haus ist ziemlich groß für eine alleinstehende
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