Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Wie sieht’s innen aus?«
»Nur die des Opfers.«
»Dann ist die Sache doch ziemlich klar, oder?«, sagte Kessen. »Das Opfer hat das Schlafzimmerfenster selbst geöffnet. Und jemand, der auf dem Feld wartete, hat sie erschossen.«
»Um Gottes willen«, sagte Hitchens.
Kessen drehte sich wieder um und wandte sich an alle im Zimmer. »Sperren Sie die Straße da oben ab, machen Sie das Tor dicht, und schicken Sie die Spurensicherung und die Suchtrupps auf das Feld. Dort hat sich unser Schütze aufgehalten.«
Bevor sich die Aktivitäten nach draußen verlagerten, nutzte Cooper die Gelegenheit, das Innere des Hauses genauer zu inspizieren. Was ihm mit als Erstes auffiel, war der viele Staub. Kein Wunder, da es keine Putzfrau gegeben hatte. Und so wie es aussah, hatte Miss Shepherd selbst nur die allernötigste Hausarbeit verrichtet: im Wohnzimmer, in der Küche, im Badezimmer und in ihrem Schlafzimmer.
Doch es gab noch weitere Zimmer, die offenbar völlig unberührt geblieben waren. Als Cooper die Tür zu einem Gästezimmer aufmachte, rollten Staubknäuel über den Teppich, und von der Bewegung aufgeschreckte Spinnen krabbelten davon. Da die Vorhänge zugezogen waren, schaltete er das Licht an. Die Luft war voller feiner Staubpartikel, die im Luftzug vom Korridor umherwirbelten.
Die meisten Leute hatten keine Ahnung, woher der Staub bei ihnen zu Hause kam. Was den durchschnittlichen Hausoder Wohnungsbesitzer betraf, hätte er genauso gut vom Mond stammen und nachts vom Himmel schweben können, um sich wie Schneeflocken auf den verfügbaren Oberflächen niederzulassen. Er mochte eine Unannehmlichkeit sein, aber er war etwas Natürliches und Normales, das ebenso zur Atmosphäre gehörte wie Sauerstoff.
Doch Cooper wusste es besser. Es gehörte zu den Dingen, die er als Teenager gelernt und niemals vergessen hatte. Er wusste, dass jeder Mensch auf der Welt stündlich Tausende von toten Hautzellen abwarf und binnen drei Tagen eine ganze Hautschicht verlor. Das war es, was in der Luft hing und in einem Sonnenstrahl tanzte, der durchs Fenster fiel. Das war es, was auf den Regalbrettern lag, sich in ruhelosen Flocken unter dem Bett sammelte und den Krempel auf dem Speicher umhüllte. Neunzig Prozent des Staubs in jedem Haus bestanden aus toter menschlicher Haut.
Auch die Ausstattung des Wohnzimmers kam ihm etwas merkwürdig vor. Gebrochenes Weiß und Dunkelgrau, fast keine Farbe. Das war irgendwie zu modern für ein so altes Haus und erst recht für eine Frau, wie Rose Shepherd sie gewesen zu sein schien. Zumindest in den Augen Außenstehender.
Hitchens streckte den Kopf zur Tür herein. »Ben, wir haben den Postboten herkommen lassen. Würden Sie bitte seine Aussage zu Protokoll nehmen? Er hat es sehr eilig, seine Tour fortzusetzen.«
»In Ordnung, Sir.«
Cooper warf einen letzten Blick auf die dunkelgraue Tapete um den offenen Kamin. Auf ihr war der Staub besonders deutlich zu sehen, es waren jedoch keine Fingerabdrücke zu erkennen. Und dann erinnerte er sich an eine andere Sache, die er über Hausstaub gelernt hatte: Auf jedem Körnchen saßen Tausende von Staubmilben. Genau in diesem Augenblick waren sie damit beschäftigt, sich an den toten Hautzellen gütlich zu tun.
6
V or Jahren habe ich in der tiefsten Provinz zugestellt«, sagte Bernie Wilding, als Cooper ihn in seinem roten Post-Lieferwagen sitzend fand. »Dort habe ich auf meiner Tour ungefähr genauso oft Wallabys gesehen, wie ich Miss Shepherd in Foxlow gesehen habe.«
»Wallabys?«
Cooper lachte. Die meisten Gerüchte über exotische Tiere, die angeblich in völlig abwegigen Gegenden überlebten, waren Quatsch. Doch manchmal erwiesen sich die Behauptungen tatsächlich als wahr, wie im Fall der Skorpione in der Londoner U-Bahn – oder der Wallabys der Roaches in Derbyshire.
»Haben Sie die Wallabys wirklich gesehen?«, fragte er.
»Nur ein- oder zweimal als Schemen in der Ferne. Ich war mir allerdings nie ganz sicher, ob ich ein Wallaby vor Augen hatte oder einen Feldhasen. Aber ich habe immer allen erzählt, dass ich die Wallabys gesehen hätte. Na ja, das macht man doch so, oder?«
»Ja, das würde ich auch machen.«
Dass Cooper auch nach dreißig Jahren im Peak District noch nie ein Wallaby zu Gesicht bekommen hatte, gehörte zu den Dingen, die er aufrichtig bedauerte. Niemand, der am westlichen Rand des Nationalparks lebte oder arbeitete, zweifelte an ihrer Existenz. Viele Autofahrer hatten welche gesehen, und einige von
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