Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
bedrohlich dunkel, und die Sonne versteckte sich, obwohl keine Wolken am Himmel waren. Ísrún spürte die Asche plötzlich im Mund, als kaue sie auf Sandkörnern. Sie erschauerte, eilte zu ihrem Auto und fuhr los; sie fühlte sich wie in einer ausländischen Großstadt bei Hitze und Smog und nicht wie an einem Sommertag in Reykjavík. Es hätte kaum einen besseren Tag geben können, um in den Norden zu fahren. Das erste Mal, seit ihrem Wegzug aus Akureyri vor eineinhalb Jahren.
Das würde ein Hammer. Sie würde diesen angeblichen Gutmenschen Elías Freysson auseinandernehmen – nach dem Gespräch mit Iðunn war das Bild schon ein bisschen klarer geworden.
»Kommi, ich brauche dich mal eben!«
Ívar saß auf dem Redaktionsleiterstuhl und brüllte wie üblich quer durch den Raum. Ein König in seinem Reich.
Kormákur eilte zu ihm.
»Wie läuft’s mit dem Mordfall?«
»Nichts Neues.«
»Nichts Neues?! Ein Mann wurde ermordet. Willst du nur wie ein Idiot hier rumsitzen und auf die Pressekonferenz der Polizei warten?«
»Äh … nein, nein, natürlich nicht. Aber es geht ja gerade erst los«, sagte Kormákur zögernd.
»Das wird die erste Meldung heute Abend. Versuch um Himmels willen, sie ein bisschen spannend zu gestalten.« Dann sagte er leise: »Ísrún hatte einen Anruf, von einem Freund, dessen Namen sie nicht sagen wollte. Der meinte, Elías hätte was mit Drogen zu tun gehabt.«
»Drogen? Hat er Drogen genommen?«
»Nein, geschmuggelt.«
»Verdammt. Das wäre ja eine Wahnsinnsschlagzeile!«
»Allerdings. Sie hat darauf bestanden, in dem Fall recherchieren zu dürfen. Wenn sie was schickt, leite ich es an dich weiter. Aber ich will, dass du diesen Aspekt auch unter die Lupe nimmst – ich traue ihr eine so große Sache nicht zu. Machst du das?«
»Selbstverständlich.«
Kormákur eilte zurück zu seinem Schreibtisch und rief die Polizei in Nordisland an, um sich nach der möglichen Verstrickung des Opfers in Drogenschmuggel zu erkun-digen.
Das Telefonat blieb ohne Erfolg.
13 . Kapitel
Kristín ging mit schnellen Schritten durch den Flur des Krankenhauses in Akureyri. Das gelbe Linoleum war von der jahrzehntelangen Abnutzung verblichen, die weißen Fliesen an der Wand glänzten nicht mehr so wie früher. Eine kühle und ungemütliche Umgebung.
Der Tag ging rasant los, und es war viel zu tun, was ihr gelegen kam, denn sie langweilte sich, wenn es zu ruhig war. Dann hatte sie zu viel Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. War sie mit der Medizin auf dem richtigen Weg? Sie musste eine Entscheidung über die Facharztausbildung im Ausland treffen. Am liebsten wollte sie an etwas ganz anderes denken. Konnte sie wirklich jetzt entscheiden, welchen Fachbereich sie bis an ihr Lebensende ausüben wollte? Ein langes Studium an der Uni Reykjavík lag hinter ihr – und eine lange Ausbildung im Ausland vor ihr. Manchmal bereute sie es, Medizin studiert zu haben. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, so viel Zeit ihres Lebens mit Ausbildungen zu verbringen und danach auf einen Fachbereich festgelegt zu sein. Und die Gehälter waren angesichts der Arbeitsbelastung und der langen Ausbildung auch nicht gerade umwerfend. Wahrscheinlich würde sie im Ausland arbeiten müssen, wenn sich das alles auszahlen sollte.
Da spürte sie ihr Handy in ihrer Kitteltasche vibrieren, der Ton war ausgeschaltet. Kristín blieb stehen, holte es heraus und schaute aufs Display. Ihre Bekanntschaft vom Golfplatz. Sie hatten darüber gesprochen, sich diese Woche zu treffen.
Sie ging ran.
»Kristín?«
»Ja, hi.« Ein angenehmes Gefühl durchfuhr sie. Er hatte eine so warme und angenehme Stimme.
»Störe ich dich gerade?«
Als Kristín mit Ari zusammen gewesen war, hatten die Arbeit und das Studium bei ihr immer an erster Stelle gestanden. Vielleicht war das einer der Gründe, warum alles so gekommen war.
»Nein, nein, kein Problem.«
»Können wir uns heute Abend treffen? Was essen gehen?«
»Tut mir leid, aber heute Abend habe ich schon was vor.« Trotzdem wollte sie ihn unbedingt treffen, ein bisschen abschalten und auf andere Gedanken kommen. »Was ist mit morgen Abend?«
»Super.«
»Wir können uns bei mir treffen«, sagte sie. »Ich bin gegen sieben Uhr mit der Arbeit fertig.«
Sie gab ihm ihre Adresse.
»Bis dann, ich freu mich.« Er verabschiedete sich.
Sie freute sich auch.
Rotwein, ein paar gute Käsesorten – vielleicht würde sie Ari mit seiner Hilfe ja endgültig vergessen können.
14 .
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