Todesnacht: Thriller (German Edition)
hingelegt hatten, sah er nicht so aus, als hätte jemand darauf gepinkelt oder geblutet und wäre dort gestorben. Tabitha hatte im Schlafsack geschlafen, Harlan auf seiner Plane und mit dem Rucksack als Kissen.
» Wie spät ist es? « , wollte er wissen.
Tabitha warf einen Blick auf ihr Handy. » Laut iPhone « , gab sie mit offiziell klingender Stimme bekannt, » ist es jetzt genau acht Uhr siebenunddreißig. «
» Morgens? « , erkundigte er sich schlaftrunken.
» Natürlich morgens. «
Mit einem Mal war Harlan hellwach und saß senkrecht auf dem Boden. Er blickte auf das Handy in ihrer Hand. » Wann hast du das Ding eingeschaltet? «
» Erst vor ein, zwei Minuten. «
» Mach es aus! «
» Gleich. Ich muss erst noch meine Mails abrufen. «
» Nein! Mach es sofort aus! « Er riss ihr das Handy aus der Hand. Drückte die Power-Taste. Wischte in Richtung des Ausschalten-Pfeils über das Display.
» Warum hast du das gemacht? «
» Weil man ein Handy orten kann. Bestimmte Leute können dein Signal auffangen und es zurückverfolgen. «
» Was für Leute? «
» Die Polizei. «
» Aber die Polizei soll doch wissen, wo wir sind, oder nicht? Dann kann sie uns helfen. «
» Nein. Es gibt einen ganz entscheidenden Grund dafür, dass sie das nicht wissen soll. «
Tabitha runzelte die Stirn. Das gefiel ihr nicht. » Was für einen Grund denn? «
Harlan beschloss, dass es an der Zeit war, die Karten auf den Tisch zu legen. Sie war schlau genug, um zu merken, wenn er sie mit Blödsinn vollquatschte, und sie würde eher mit ihm zusammenarbeiten, wenn sie das Gefühl hätte, dass sie mitentscheiden durfte. Demokratisch. Na ja, halbwegs demokratisch. Er hatte zwei Stimmen. Sie nur eine. Er war der Truppenführer. Sie war die Truppe.
Er brauchte eine Weile, bis er sich überlegt hatte, wie er es formulieren sollte. Außerdem musste er pinkeln. » Okay « , sagte er. » Ich erzähl es dir. Sobald ich auf dem Klo war. Funktioniert die Spülung? «
» Man muss einen Eimer Wasser reinkippen. Der Eimer steht direkt daneben. Klopapier gibt es keines. «
Er betrat das kleine Badezimmer und betrachtete eine Weile die mit zahlreichen Rostspuren versehene Toilettenschüssel, urinierte schließlich und überlegte, wie er das kommende Gespräch in die richtige Bahn würde lenken können. Dann zog er den Reißverschluss wieder hoch und beschloss, erst später zum Bach hinter dem Haus zu gehen und Wasser zu holen.
Er ging ins Zimmer zurück, ließ sich neben Tabbie, die im Schneidersitz auf dem Schlafsack saß, zu Boden sinken und lehnte sich gegen das Sofa. Die Kissen waren fast so schmutzig wie die Matratze, aber nur fast. Wenigstens schienen sie nicht blut- oder pissebefleckt zu sein.
» Hast du Hunger? « , wandte er sich an Tabitha, um noch ein bisschen Zeit zu schinden.
» Ein bisschen. «
» Gibt es hier im Haus vielleicht irgendwas zu essen? «
» In der Küche stehen ein paar Konservendosen, aber da ist überall Mäusekacke drauf. «
» Wir könnten sie abwaschen. «
» Ich esse nichts, wo Mäusekacke drauf war, auch nicht, wenn du sie vorher abgewaschen hast. Und jetzt hör auf damit, und sag mir endlich, wieso wir nicht wollen, dass die Polizei weiß, wo wir sind. «
Sie starrte ihn durch ihre riesigen Brillengläser an. Sie wirkte entschlossen. Dieses Mädchen wusste genau, was es wollte, auf seine ganz eigene, seltsame Art und Weise.
» Okay. Gestern Abend habe ich dir gesagt, dass ich ein Freund von Tiff bin. «
» Das hast du nicht gesagt. Du hast gesagt, dass du sie geliebt hast. «
» Ja. Ich habe sie geliebt. Ich liebe sie immer noch. Aber leider ist es so … dass Tiff Sachen gemacht hat, von denen sie besser die Finger gelassen hätte. «
» Was denn zum Beispiel? «
» Sie hat Drogen verkauft. Deine Schwester hat sich auf Geschäfte mit einem Mann namens Conor Riordan eingelassen. «
» Mit dem Dezembermann. «
» Genau. Mit dem Dezembermann. Tiff hat Conor Riordan das Boot deines Vaters besorgt. Er ist damit nach Kanada gefahren und hat einen Riesenhaufen Tabletten gestohlen, eine Droge namens Oxycontin. Hast du davon schon mal gehört? «
Selbstverständlich hatte sie schon mal von Oxycontin gehört. Alle hatten davon gehört. Manche Kinder an der Schule, vor allem die älteren, redeten ständig darüber. Sie glaubte zwar nicht, dass irgendeiner von ihnen es schon mal ausprobiert hatte, aber sicher war sie sich nicht, weil die meisten von ihnen nicht mit ihr sprachen, höchstens wenn sie
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