Todesnacht: Thriller (German Edition)

ebenfalls mit Tiffany Stoddard geschlafen, und außerdem ist er – im Gegensatz zu Harlan – schon einmal wegen sexueller Belästigung angezeigt worden. Aber höchstwahrscheinlich ist es jemand, den wir bisher noch gar nicht im Blick haben. Die Ermittlungen laufen noch nicht einmal achtundvierzig Stunden, und ich habe inzwischen das Gefühl, als hätte Tiff mit noch mehr Männern irgendwas am Laufen gehabt. «
    Savage gab keine Antwort. Drückte nur den Zigarettenstummel an seiner Stiefelsohle aus. Riss das Zigarettenpapier auf und verstreute den restlichen Tabak über das Geländer auf den Rasen.
    » Maggie « , sagte er dann. » Es kann sein, dass du recht hast. Ich hoffe sogar, dass du recht hast. Aber wir sind Polizisten, alle beide. Es ist unser Job, die Indizien so verantwortungsbewusst wie möglich zu gewichten und dann entsprechend zu handeln. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Indizien so lange hin und her zu wenden, bis sie in eine Theorie passen, mit der wir jemanden schützen wollen. «
    » Oder mit der wir jemanden verurteilen wollen, den wir nicht mehr lieben. «
    Savage starrte seine Tochter durchdringend an, dann ging er hinein. Das Gespräch war beendet. Wenigstens knallte er die Tür nicht hinter sich zu.
    Maggie stieg die Verandastufen hinab. » Ich gehe ein bisschen spazieren. «
    » Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme? « , meinte McCabe.
    » Wie du willst. Solange du die Klappe hältst. «
    Sie gingen schweigend nebeneinander her, die Center Street entlang in Richtung Norden und aus der Ortschaft hinaus. Dann schlugen sie einen Bogen und wandten sich wieder zurück nach Süden.

35
    Sonntag, 23. August 2009, 22.21 Uhr
    Machias, Maine
    In der Sprache der Passamaquoddy, der frühesten Bewohner des Washington County, bedeutet das Wort Machias » schlechter Wasserlauf « , und für den Großteil seiner hundert Kilometer macht der Machias River mit zahlreichen Stromschnellen und unvorhersehbaren Richtungswechseln seinem Namen alle Ehre. So schlängelt er sich unter Brausen und Tosen durch unberührte Waldgebiete, bis er schließlich im Zentrum von Machias über eine Felskante stürzt und in dem so entstehenden kleinen Wasserfall, den sogenannten Little Bad Falls, sein schäumendes Finale findet.
    Nachdem Maggie und McCabe über eine Stunde lang schweigend nebeneinanderher gegangen waren, standen sie jetzt Seite an Seite auf der schmalen Fußgängerbrücke, die direkt unterhalb des Wasserfalls über den Fluss führte. Sie lehnten sich in der Mitte der Brücke an das Geländer und blickten hinab auf die Wassermassen, die schäumend um und über die Felsbrocken im Flussbett wirbelten. Am einen Ufer befand sich das Gelände der University of Maine. Dort, in den Räumen der Englisch-Fakultät in Kimball Hall, hatte Sam Harkness Tiff Stoddard kennengelernt. Du kennst mich, Maggie. Ein Blick auf ihre knackigen Beine, und ich habe sie hereingebeten. Nur wenige hundert Meter flussaufwärts, am anderen Ufer, stand das kleine Haus, in dem Tiff Stoddard gewohnt hatte.
    Warst du auch mal in ihrer Wohnung?
    Nur ein Mal. Es war ein schmuddeliges Loch am anderen Flussufer und für meinen Geschmack viel zu dicht am Campus.
    Sie überlegte, ob Sam die Studentin möglicherweise ermordet und anschließend belastende Indizien in Harlans Wohnwagen versteckt haben könnte. So etwas war ihm durchaus zuzutrauen, wenn er betrunken genug und wütend darüber war, dass Tiff ihm den Laufpass gegeben hatte. Aber das hatte sie ja bereits im Mai getan. Sam, der immer schon impulsiv und ein wenig unbeherrscht gewesen war, hätte, wenn überhaupt, sofort gehandelt, so wie damals in Philadelphia. Er hätte keine zwei Minuten abgewartet, geschweige denn zwei Monate. Und er hätte Tiff auch nicht mit einer solchen sexuellen Brutalität umgebracht.
    Nein, dachte Maggie, Sam ist es nicht gewesen. Aber sie hätte zu gerne gewusst, was er – außer dem Namen Conor Riordan – noch alles in seinem Manuskript verarbeitet hatte.
    Maggie und McCabe starrten weitere fünf Minuten lang schweigend auf das rauschende Wasser hinab. Schließlich ergriff McCabe das Wort. » Bist du immer noch sauer auf deinen alten Herrn? «
    » Ja. Und auf Sean Carroll auch. «
    » Was ist mit Ganzer? «
    » Ganzer ist nur ein aufgeblasener Idiot mit zu viel Testosteron im Blut. Von ihm habe ich nichts anderes erwartet. «
    » Findest du nicht, dass du ein bisschen überreagierst? «
    » Nein, finde ich nicht. Und falls du vorhast, dich in dieser Geschichte auf