Todesopfer
Dunn dir das nicht gesagt? Es tut mir leid â¦Â«, setzte ich an.
Er brachte mich mit einer Geste zum Schweigen. »Ist schon okay. Haben sie ⦠er ⦠war er grausam?«
»Nein«, antwortete ich, und alles, was Dr. Renney uns berichtet hatte, fiel mir wieder ein, von den Erdbeeren, von der Narkose. »Es ist ganz merkwürdig. Er ⦠sie ⦠sie haben ihr zu Essen gegeben und etwas gegen Schmerzen. Es hat fast den Anschein, als hätten sie ⦠sich um sie gekümmert.« Sie hatten sich um sie gekümmert.
Bevor sie sie gefesselt und ihr nordische Runen ins Fleisch geritzt hatten. Was war denn das für eine Logik? Ich schloss die Augen, doch das Bild war immer noch da.
Duncan rieb sich das Gesicht mit den Händen. »GroÃer Gott, was für eine Schweinerei.«
Darauf schien es keine passende Antwort zu geben, also schwieg ich. Duncan machte keinerlei Anstalten, wieder ins Bett zu gehen, und ich auch nicht. Nach einer Weile begann ich die Kälte zu spüren. Ich schloss die Augen und lehnte mich an ihn, mehr auf Wärme als auf Intimität aus, doch er schlang die Arme um mich, und seine Hände begannen, meinen Rücken hinabzugleiten. Dann hielten sie inne. »Tora, würdest du eine Adoption in Betracht ziehen?«
Ich öffnete die Augen. »Du meinst, ein Baby?«
Er drückte eine GesäÃbacke. »Nein, ein Walross. Natürlich meine ich ein Baby.«
Also, damit hatte er mich kalt erwischt. Ich hatte nie über eine Adoption nachgedacht, war gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass wir dieses Stadium auch nur annähernd erreicht haben könnten. Vorher gab es noch eine Menge abzuhaken. Adoption war doch der letzte Ausweg, oder nicht?
»Es ist nur, sie haben ein gutes Adoptionsprogramm auf den Inseln. Oder jedenfalls war es mal so. Hier ist es nicht schwer, ein Kind zu adoptieren. Ein Neugeborenes, meine ich, Keinen emotional verkorksten Teenager.«
»Wie kann das sein?«, fragte ich und dachte, dass hier doch bestimmt dieselben Adoptionsgesetze galten wie im Rest von GroÃbritannien. »Wieso gibt es auf den Shetlands mehr Babys als irgendwo anders?«
»Keine Ahnung. Ich erinnere mich nur, dass darüber gesprochen wurde, als ich hier wohnte. Vielleicht sind wir altmodischer, wennâs um ledige Mütter geht.«
Das konnte sein. Die Kirchen waren hier besser besucht als auf dem Festland, und im GroÃen und Ganzen schienen die moralischen Grundwerte mit dem vergleichbar zu sein, was vor zwanzig
oder dreiÃig Jahren im übrigen Land gegolten hatte. Auf den Shetlands stehen Halbwüchsige im Bus auf, damit alte Damen sich setzen können. Auf der StraÃe warten Autofahrer an Ãberholbuchten, anstatt loszubrettern, um dem Gegenverkehr zuvorzukommen. Vielleicht war das wirklich eine Möglichkeit, die ich in Betracht ziehen sollte.
Dann fasste Duncan mich um die Taille und hob mich hoch. Er setzte mich aufs Fensterbrett. Das Glas an meinem Rücken war kalt und ein wenig feucht. Er hob meine Beine und legte sie sich um die Hüfte. Ich wusste genau, was jetzt kam. Das Fensterbrett hatte genau die richtige Höhe, und wir hatten das schon öfter gemacht.
»Natürlich«, sagte er, »können wir es auch weiter versuchen.«
»Vielleicht noch ein bisschen«, flüsterte ich und sah zu, wie er das Rollo herunterzog.
Und wir versuchten es weiter.
6
Sarah saà ganz vorn auf der Stuhlkante. In ihren Augen lag der Blick : wütend, voller Scham, ungeduldig; jener Ausdruck, der Monat für Monat stärker werden würde, Zorn, der langsam der Verzweiflung wich, wenn das Einsetzen jeder Menstruationsblutung ein neuerliches Scheitern verkündete. Natürlich konnte er auch vollständig und für alle Zeit verschwinden, in dem Moment, wo sie erfuhr, dass sie schwanger war. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck so gut; ich sah ihn andauernd. Und nicht nur bei Patientinnen.
Roberts Miene hingegen konnte ich nicht deuten. Er hatte mir bisher noch nicht in die Augen gesehen.
Obgleich dies ihr erster Termin bei mir war, hatten Sarah und Robert Tully bereits das ganze SpieÃrutenlaufen aus Tests, Untersuchungen und Beratungsgesprächen hinter sich. Allmählich ging ihnen die Geduld aus. Er wollte die schulterklopfenden Glückwünsche im Pub hören und die Wochenenden mit Spielzeugeisenbahnkatalogen verbringen. Sie wollte einen Platz auf dem
Weitere Kostenlose Bücher