Todesopfer
rechnete nicht eine Sekunde lang mit einem Ja.
Wieder furchte sie die Stirn, dann nickte sie. »Ja, vielen Dank«, antwortete sie. »Das wäre gut.«
Â
Wir nahmen ihren Wagen. Es gab zwei Familien namens Hawick, die es zu überprüfen galt; die erste wohnte nah bei der A970, am Stadtrand von Lerwick. Ein Blick auf Kathleen Hawick, und wir wussten, dass wir sie von der Liste streichen konnten. Sie war Mitte fünfzig, mollig und ihr abgewetzter goldener Ehering zwischen Hautwülsten kaum zu erkennen; er würde bis zu ihrem Tod
an ihrem Finger stecken bleiben. Als wir uns bedankten und gingen, kehrte sie frohgemut zu der Quizsendung zurück, von der wir sie offensichtlich aus dem Haus geholt hatten.
Die anderen Hawicks wohnten in Scalloway, der alten Hauptstadt der Shetlands, ein sehr viel kleinerer Ort knapp zehn Kilometer westlich von Lerwick. Auf der StraÃe war wenig Verkehr, und wir brauchten nur gut fünfzehn Minuten.
Dana fuhr an den StraÃenrand und holte ihren Computer hervor. Sie tippte ein bisschen darauf herum, und schon lag der Stadtplan von Scalloway vor uns.
»Sie sind echt gut mit dem Ding«, bemerkte ich, als sie mir das Notebook auf den Schoà schob und wir wieder losfuhren. »Da unten links. Was ist eigentlich aus der guten alten Notizblock-und-Bleistift-Kombination geworden?«
»Ist im Revier von Lerwick immer noch die Ausrüstung der Wahl.«
»Die zweite rechts«, wies ich sie an. Wir wurden langsamer und bogen in die StraÃe ein, in der die Hawicks wohnten. Sie verlief direkt entlang der Küste am Südrand der Stadt. Die Hawicks genossen eine tolle Aussicht, hatten aber nicht viel Schutz vor den Elementen, und kaum waren wir ausgestiegen, blies uns ein heftiger Wind ins Gesicht. Während wir vor der Haustür warteten, wurden unsere Haare zerwühlt. Als Mr. Hawick die Tür öffnete, muss er geglaubt haben, zwei zerzauste Meerjungfrauen seien zu Besuch gekommen.
Seinem ÃuÃeren und seiner Haarfarbe nach schätzte ich Joss Hawick auf Mitte bis Ende dreiÃig, doch sein Gesicht lieà auf einen gut zehn Jahre älteren Mann schlieÃen. Er hatte das Aussehen eines Menschen, der unter Schlaflosigkeit oder auch Dauerstress litt. Sein weiÃes Bürohemd wies einen leichten Grauschleier auf und war nicht besonders gut gebügelt.
Dana sagte ihren üblichen Text auf, zeigte ihren Dienstausweis und stellte uns beide vor. Hawick wirkte nur mäÃig interessiert und nicht einmal annähernd besorgt: wie ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat.
Dana erklärte die Sache mit dem Ring und der Inschrift. Noch ehe sie geendet hatte, schüttelte er schon den Kopf.
»Tut mir leid, Sergeant, die Fahrt war umsonst. Wenn Sie mich dann entschuldigen würden.«
Er machte Anstalten, ins Haus zu gehen und die Tür zu schlieÃen.
Das war mit Dana nicht zu machen. »Sir, es ist wichtig. Sind Sie sicher, dass Ihre Frau keinen Ring vermisst? Könnten wir sie vielleicht fragen?«
»Sergeant, meine Frau ist tot.«
Dana zuckte zusammen, ich dagegen war nicht im Mindesten überrascht. Den verhärmten, leeren Gesichtsausdruck, den Joss Hawick so deutlich zur Schau trug, kann man bei allen Hinterbliebenen sehen. Dieser Mann hatte getrauert. Trauerte noch immer.
»Das tut mir sehr leid.« Zum ersten Mal meldete ich mich zu Wort. »Ist sie erst vor kurzem gestorben?«
»Im Sommer sindâs drei Jahre.« Länger als ich gedacht hätte; diesem Mann fiel es nicht leicht, sich mit seinem Verlust abzufinden.
»Waren Sie lange verheiratet?« Neben mir konnte ich spüren, wie Dana ungeduldig wurde. Ich achtete nicht auf sie.
»Gerade mal zwei Jahre«, sagte er. »Letzten Freitag hätten wir Hochzeitstag gehabt.«
Ich überlegte rasch. Heute war Mittwoch, der 9. Mai. Freitag, vor fünf Tagen, war der 4. Mai gewesen. Doch das Jahr stimmte nicht. Die Ehefrau dieses Mannes war 2004 gestorben, nicht 2005. Wegen der Sturmflut war Stephen Renney sich sicher gewesen, dass unser Opfer nicht länger als zwei Jahre unter der Erde lag, und das Team aus Inverness hatte ihm recht gegeben.
»Mr. Hawick.« Diesmal hatte sich Dana zu Wort gemeldet. »Die Inschrift auf dem Ring verweist auf den 4. Mai 2002. War das der Tag Ihrer Hochzeit?«
Jetzt war er wütend, blickte von Dana zu mir. Wir rissen alte Wunden auf, die noch nicht einmal annähernd verheilt
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