Todespakt
distanziert wahr, als läge sie auf dem Grund eines Sees und all das spielte sich hoch über ihr ab. Jede Kontur erschien ihr verschwommen und unscharf. Sie versuchte sich zu bewegen, um aus dem Schussfeld zu kriechen. Doch es war, als wäre sie von einer eigenartigen Trägheit umgeben, die alles verlangsamte. Dann spürte sie ein drückendes Gewicht, das ihr die Luft aus den Lungen presste, als der Körper über sie hinwegrollte. Er kam vor ihr zum Erliegen, sodass sie direkt in das Gesicht ihres Angreifers sehen konnte. Eines seiner Augen starrte sie an, das andere war nur noch eine blutige Höhle, aus der eine gallertartige Flüssigkeit lief. Der Anblick ließ die Trägheit schlagartig verfliegen. Sie entdeckte ihre Waffe auf dem Boden, etwas außerhalb ihrer Reichweite. Doch seitdem die Schüsse verstummt waren, wagte sie nicht, sich zu bewegen. Das Ganze konnte nur Sekunden gedauert haben, doch ihr war es wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen. Vorsichtig spähte sie am Kopf der Leiche vorbei den Flur entlang. Auf der rechten Seite des Ganges sah sie eine der vermummten Gestalten reglos am Boden liegen, eine weitere schien verletzt zu sein. Sie saß gegen die Wand gelehnt und hielt sich stöhnend den Arm. Lediglich die Gestalt mit der Pistole stand aufrecht, etwa drei Meter von Rebecca entfernt. Der Lauf der Waffe war schräg nach unten auf den Kopf von Jens Rohde gerichtet. Er lag getroffen vor einer Kommode und hielt sich die Wunde an seinem Bauch. Sein Körper zuckte vor Schmerzen.
»Verräter«, ertönte es unter der Maske. Das Ploppen des Schalldämpfers erklang und das Zucken erstarb.
Rebecca musste sich zusammenreißen, um nicht loszuschreien. Vor ihr lag die Waffe am Boden, doch ihr Körper war vor Angst wie gelähmt. Sie schloss die Augen, blendete all das Schreckliche aus. Es war die einzige Strategie, die ihr in dieser Lage sinnvoll erschien.
»Was ist mit der anderen?«, hörte sie eine gedämpfte Stimme fragen. »Wir sollten auf Nummer sicher gehen.«
Rebecca bemerkte Schritte, die sich ihr näherten. Sekunden verstrichen, in denen sie fest damit rechnete, dass jeden Moment eine Kugel in ihren Kopf eindrang, die das Bild ihres toten Kollegen endgültig auslöschte. Dann erklang ein nüchternes Klacken.
»Verdammt! Das Scheißding klemmt!«, hörte sie jemanden sagen.
»Dann nimm die andere Knarre.«
Von draußen ertönte das erlösende Geräusch mehrerer Sirenen, die sich dem Haus näherten.
»Vergiss es, wir müssen hier weg!«
»Also gut, du nimmst Dragan.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist tot.«
»Soll das heißen, wir lassen ihn hier zurück?«
»Wir haben keine andere Wahl. Du kannst nur einen tragen, und ich bin verletzt.«
»Ist es schlimm?«
»Es geht schon. Wir kümmern uns darum, wenn wir wieder im Nest sind. Und jetzt pack dir endlich diesen Bastard und mach, dass du hier raus zum Auto kommst!«
Wenige Sekunden später umgab Rebecca erdrückende Stille, die nur vom rasenden Schlag ihres Herzens durchbrochen wurde. Selbst als kurz darauf mehrere Einheiten der Polizei in das Haus eindrangen und die Stimmen ihrer Kollegen fürsorglich auf sie einredeten, hielt sie die Augen noch immer fest verschlossen.
41
Die Spurensicherung verbrachte die gesamte Nacht in Victor Kiriacs Haus. Die Leichen wurden der Gerichtsmedizin übergeben. Die meisten konnten aufgrund der Ausweispapiere, die sie bei sich trugen, identifiziert werden. Bei dem vermummten Toten gelang dies erst über einen Treffer in der Fingerabdruckdatenbank.
»Florian Schneider, 36 Jahre, arbeitsloser Mechaniker aus Koblenz, vorbestraft wegen Trunkenheit am Steuer, Drogenbesitz und Körperverletzung. Hat vor zwei Jahren aufgrund von Strafminderung freiwillig an einem Anti-Aggressionskurs teilgenommen«, las Chris von dem Ausdruck ab, der in seiner Hand zitterte. Es gelang ihm nicht, seine Anspannung vor den anderen zu verbergen. Rokko saß an seinem Schreibtisch gegenüber. Gerlach und Deckert standen dahinter an die Wand gelehnt. »Außerdem Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Ich habe bereits eine Wohnungsdurchsuchung veranlasst«, fügte Chris hinzu und rieb sich die Augen. »In der Akte ...«
»Lassen Sie doch mal die verdammte Akte außen vor«, sagte Deckert. Sein Gesicht war blass und eingefallen. »Wie geht es der Kollegin? Mir wurde gesagt, Sie wären enger mit ihr befreundet.«
Chris ließ sich in den Stuhl fallen und nickte. »Ich bin natürlich sofort ins Krankenhaus gefahren. Dort hatte man
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