Todesregen
Außerirdische gedacht«, gestand Neil ein und fasste damit endlich in Worte, was weder er noch Molly bisher auszusprechen gewagt hatten. »Aber wo das letztendlich hinführt – wer weiß?«
»Ich weiß es«, sagte Paul mit fester, ruhiger Stimme. »Ich habe mit gutem Willen all die Qual, die Schmerzen und das Leid angenommen, die kommen mögen. «
Molly erkannte diese hochtrabenden Worte als Paraphrase eines Abendgebets, in dem man die Tatsache akzeptierte, dass man sterben muss.
»Ich glaube nicht, dass es so schlimm wird«, sagte sie. »Es ist auch etwas … ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll … etwas Positives daran. «
»Molly, wie schön, deine Stimme zu hören«, sagte Paul. »Du siehst selbst mitten im Gewitter immer einen Regenbogen. «
»Na ja … das Leben hat mich gelehrt, optimistisch zu sein.«
»Da hast du recht. Der Tod ist schließlich nichts, was man fürchten müsste, oder? Nur ein neuer Anfang.«
»Nein, das meine ich nicht.« Sie erzählte von den Kojoten auf der Veranda. »Ich bin mitten unter sie getreten. Sie waren so zahm. Es war wunderbar, Paul, beglückend.«
»Du bist ein toller Mensch, Molly. Neil kann so froh sein, dass er dich hat; du hast ihn glücklich gemacht. Weißt du, im ersten Jahr, da hab ich dich manchmal verletzt … «
»Aber gar nicht«, widersprach Molly.
Neil nahm ihre Hand und drückte sie sanft.
Im Fernsehen wurde nun eine andere Großstadt gezeigt, in der zwar keine Gebäude brannten, aber dafür sah man Plünderer, die Schaufenster einschlugen. Die Kaskaden aus splitterndem Glas glitzerten nicht heller als der silbrige Regen.
»Das ist jetzt keine Zeit für Lügen, Molly«, sagte Paul. »Nicht einmal für die höfliche Sorte, mit der man die Gefühle eines anderen schonen will.«
Ursprünglich war Paul gegen ihre Ehe gewesen. Mit der Zeit hatte er sich allerdings daran gewöhnt und sie schließlich gutgeheißen. Anschließend waren Molly und er gute Freunde geworden, aber bisher hatten sie noch nie über seine anfängliche Feindseligkeit gesprochen.
Sie lächelte. »Na schön, Pater Paul, ich bekenne meine Schuld. Es gab Zeiten, in denen du mich wirklich angekotzt hast. «
Paul lachte leise. »Der Meinung war der liebe Gott sicher auch. Ich habe ihn schon lange um Vergebung gebeten – und nun bitte ich dich ebenfalls darum.«
Molly hatte einen Kloß im Hals. Am liebsten hätte sie den Hörer aufgelegt, denn das, worauf das Gespräch hinauslief, trieb sie zur Verzweiflung. Sie sagten sich Lebewohl. »Paulie … du bist auch mein Bruder. Du weißt bestimmt nicht … wie viel du mir bedeutest.«
»Doch, das weiß ich. Ganz bestimmt. Und, hör mal, Kleine, auf dein letztes Buch wäre deine Mutter stolz gewesen. «
»Hübsche Melodie, guter Rhythmus«, sagte sie, »aber leider im Dienste seichter Beobachtungen. «
»Nein. Hör auf, dich selbst zu geißeln. Das Buch sagt einem genauso viel über das Leben wie die besten Sachen deiner Mutter.«
Molly traten Tränen in die Augen. »Denk dran … das ist keine Zeit für Lügen, Paulie. «
»Ich hab auch nicht gelogen.«
Schweigend rannte eine durchnässte Schar Menschen mit wilden Blicken auf die Fernsehkamera zu und daran vorbei. Offenbar flohen die Leute entsetzt vor irgendetwas.
»Hör mal«, sagte Paul, »ich muss jetzt auflegen. Ich glaube nicht, dass uns noch viel Zeit bleibt.«
»Was geht da bloß vor sich?«, sagte Neil besorgt.
»Kurz bevor ihr angerufen habt, habe ich die Messe gelesen. Aber nicht alle, die sich hier versammelt haben, sind katholisch, deshalb brauchen sie eine andere Art von Trost.«
Am Bild im Fernseher war zu sehen, dass der Kameramann von der panischen Menge über den Haufen gerannt wurde. Die Perspektive schwankte, dann fiel die Kamera offenbar aufs Straßenpflaster, denn sie zeigte rennende Füße, die durch dunkel funkelnde Pfützen platschten. Leuchtende Wassertropfen sprühten in die Luft.
Obwohl der Lautsprecher des Telefons eingeschaltet war, hielt Neil verzweifelt den Hörer umklammert, als könnte er die Verbindung mit seinem Bruder schon dadurch aufrechterhalten. »Paulie, was hast du damit gemeint, dass das Gerichtsgebäude besser verteidigt werden kann?«, fragte er »Vor wem denn?«
Interferenzen verzerrten die Antwort aus Hawaii.
»Paulie? Wir haben dich nicht verstanden! Die Verbindung war kurz unterbrochen. Gegen wen wollt ihr euch denn verteidigen?«
Paul war wieder hörbar, doch er klang, als spräche er vom Grund einer tiefen Grube.
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