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Todesregen

Todesregen

Titel: Todesregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Ehrlichkeit, dass eine Täuschung zwar eventuell erwogen, aber nicht begangen werden kann.
    Der Hund wedelte mit dem Schwanz.
    Molly griff nach dem Stiel der Rose, und das Tier öffnete das Maul, um die duftende Blüte freizugeben.
    Als sie die Blume nahm, sah Molly einen kleinen Blutfleck auf der Zunge des Hundes, die Spur eines Dornenstichs.
    Sogleich dachte sie an Render, aber nicht an den Render, den sie vor kurzer Zeit gesehen hatte, sondern an den zornigen Irren, der vor zwanzig Jahren in ihrem Klassenzimmer gewütet hatte. Sie dachte auch nicht nur oder in erster Linie an ihn, sondern vor allem an Rebecca Rose, das Mädchen mit struppigem blondem Haar und blauen Augen, das an jenem Nachmittag in Mollys Armen gestorben war.
    Rebecca Rose. Ein schüchternes Kind mit einem leichten Lispeln. Seine letzten Worte, schon im Delirium geflüstert, scheinbar sinnlos auf ein Trugbild bezogen: Molly … da ist ein Hund. So hübsch … und wie er leuchtet!
    Nun stand da ein Schäferhund und sah Molly an. In seinen Augen waren Geheimnisse, die sich mit allem messen konnten, was in dieser folgenschweren Nacht an Rätselhaftem und Verwirrendem geschehen war.
    Auf einem Rosendorn: sein Blut.
    Die Rose der Vergesslichkeit, die der Hund Molly gebracht hatte, wurde zu der Rose aus ihrer Erinnerung, die so jung ausgelöscht worden war.
    Mit einer Kopfbewegung schien der Hund zu fragen, ob Molly Sloan – die sensible Molly, deren starke Antriebsfeder
immer angespannt war, die immer weniger im Augenblick als in der Zukunft lebte, die nach genau geplanten Zielen strebte und in allen Dingen außer dem, was sie schrieb, klug und vernünftig war, die im Leben jedes Drama mied und es nur aufs Papier fließen ließ – die Absichten eines Rätsels auf vier Pfoten begreifen konnte, das eine Rose im Maul trug und so dringend richtig entschlüsselt und verstanden werden wollte.
    Die Rose zitterte in ihrer Hand, und ein loses Blütenblatt fiel auf die Tischplatte wie ein neuer Blutstropfen.
    Der Hund aber wartete. Der Hund beobachtete sie. Und der Hund lächelte.
    In einer Nacht voll dunkler Wunder und außergewöhnlicher Ereignisse war dies ein Augenblick, der nicht weniger bedeutsam war als alles, was Molly bisher erlebt hatte, aber von anderer Art.
    Ihr Herz jagte. Auch ihre Gedanken flossen schneller, vielleicht endlich auf eine atemberaubende Erkenntnis zu, aber zuerst in Sackgassen sinnloser Spekulation.
    Sie legte die Rose auf den Tisch und streckte dem Hund die Hand hin. Er leckte sie.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Neil, denn er kannte sie fast gut genug, um ihre Gedanken lesen zu können.
    Im Geist ging sie durch das Wasser eines durchsichtigen Sees und trat mit einer Einsicht ans Ufer, die ihr beinahe hellseherisch vorkam: »Der Hund wird uns zu allen Kindern führen, die Hilfe brauchen.«
    Neil betrachtete das Tier, das seinen klaren Blick auf ihn richtete, als dächte es, sein Angebot könne von jedem so leicht erkannt werden wie von Molly.
    »Frag mich nicht, woher er weiß, was wir tun müssen«, sagte Molly, »aber er weiß es, ganz gewiss. Mir ist auch nicht klar, wie er die Kinder finden wird, aber er wird sie finden, mit seinem Geruchssinn, mit seinem Instinkt, vielleicht auch durch etwas Größeres, eine Eingebung.«

    Neil starrte den Hund an. Dann starrte er Molly an.
    »Ich weiß, es klingt verrückt«, sagte sie.
    Neil warf einen langen Blick auf den großen, leeren Rahmen, aus dem der mit lebenden Toten bevölkerte Spiegel zersplittert zu Boden gefallen war.
    »Dann folgen wir also dem Hund«, sagte er. »Was haben wir schon zu verlieren?«

30
    Laut der Marke an seinem Halsband hieß der Schäferhund Virgil. Er war jung, kräftig und zutraulich, und seinem lebhaften Blick war anzusehen, dass er darauf brannte, mit der Aufgabe zu beginnen.
    Unter der Registrierungsnummer waren Name und Adresse seines Besitzers eingraviert: James Weck, Pine Street.
    Umfragen bei den Anwesenden ergaben rasch, dass Weck nicht unter ihnen war. Offenbar war Virgil in der Nacht frei herumgelaufen und hatte allein den Weg hierher gefunden.
    Russell Tewkes hatte offenbar beschlossen, sein Schicksal an das seiner besten Gäste, der Schluckspechte, zu binden. Wenn er nicht gerade einen tiefen Zug aus einem großen Bierkrug nahm, verspottete er jene, die sich bereit machten, das Bankgebäude mit Vorräten auszustatten und zu befestigen. Als er sah, dass auch Neil und Molly gehen wollten, sagte er: »Könnt ihr der Realität nicht ins

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