Todesreigen
Bezirksgrenze überschreitet oder einen Flughafen betritt, zack, trägt er auch schon Handschellen. Diese Hafermehlkekse hab ich am liebsten. Kann ich das Rezept bekommen?« Wieder gähnte er.
»Sie backen doch sowieso nicht«, sagte Tribow. »Wie wär’s, wenn Connie Ihnen einfach eine Kiste voll zuschickt?«
»Das wäre nicht schlecht.« Der Cop verließ das Büro, um nach Verbrechern zu suchen, die er verhaften konnte – oder vielleicht auch nur, um sich auszuschlafen –, und Chuck Wu begleitete Viamonte in ihr Büro, wo sie den Abend damit zubringen würden, Fragen fürs
voir dire
, die Auswahl der Jury, vorzubereiten.
Tribow selbst widmete sich der Anklageschrift und der weiteren Planung der Verhandlung.
Er hatte die Fakten im Valdez-Mord aufmerksam studiert und sich entschieden, Hartman mit drei Anklagepunkten zu konfrontieren. Das Rückgrat seiner Anklage – und die Verurteilung, die Tribow sich dringend wünschte – war Mord ersten Grades. Das bedeutete vorsätzlichen Mord, und falls Hartman dessen für schuldig befunden wurde, konnte er zum Tode verurteilt werden, ein Strafmaß, das Tribow dem Gericht auch vorschlagen würde. Doch diese Anklagepunkte waren schwer zu beweisen. Der Staat musste jeden berechtigten Zweifel ausräumen, dass Hartman die Ermordung Valdez’ im Voraus geplant, dann nach ihm gesucht und ihn unter Umständen getötet hatte, die weder durch Leidenschaft noch durch emotionale Verwirrung beeinflusst waren.
Doch würde die Anklageschrift noch weitere Punkte enthalten: Mord zweiten Grades und Totschlag. Diese dienten zur Absicherung – man sprach von »eingeschlossenen minder schweren Anklagepunkten«. Sie waren leichter zu beweisen als ein Mord ersten Grades. Wenn die Geschworenen zum Beispiel zu der Entscheidung gelangten, dass Hartman den Mord nicht im Voraus geplant, sondern sich erst aus einem Impuls heraus entschlossen hatte, Valdez zu töten, konnten sie ihn immer noch wegen Mordes zweiten Grades verurteilen. Für solch ein Verbrechen konnte er zu lebenslanger Haft, nicht aber zum Tode verurteilt werden.
Als letzte Absicherung nahm Tribow auch noch die Totschlagsanklage auf. Dafür musste er lediglich beweisen, dass Hartman es entweder billigend in Kauf genommen hatte, Valdez zu töten, oder dass er aus Leidenschaft gehandelt hatte. Dieses Verbrechen würde sich am leichtesten beweisen lassen, und bei der Faktenlage würden die Geschworenen ihn ohne jeden Zweifel verurteilen.
Übers Wochenende bereiteten die drei Anklagevertreter Fragen vor, die man den potenziellen Geschworenen stellen würde, und während der nächsten Woche lieferten sie sich mit Hartmans imposantem Verteidigerteam eine Schlacht um die endgültige Auswahl der Geschworenen. Am Freitag endlich waren diese eingesetzt, und Tribow, Wu und Viamonte zogen sich übers Wochenende ins Büro zurück, um mit den Zeugen ihre Aussagen einzuüben und die Präsentation der Beweismittel vorzubereiten.
Jedes Mal, wenn er müde wurde, jedes Mal, wenn er aufhören und nach Hause fahren wollte, um mit Danny junior zu spielen oder einfach mit seiner Frau eine Tasse Kaffee zu trinken, stellte er sich José Valdez’ Frau vor und dachte daran, dass sie
nie
mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen würde.
Und bei diesem Gedanken rief er sich Ray Hartmans arroganten Blick ins Gedächtnis.
Diesmal werden Sie verlieren…
Daraufhin schob Danny Tribow seine Tagträume beiseite und widmete sich wieder dem Fall.
Während des Studiums hatte Tribow gehofft, seinen Beruf einmal in einem gotischen Gerichtsgebäude ausüben zu können, das von Porträts strenger alter Richter, dunklen Holztäfelungen und dem Geruch düsterer Gerechtigkeit geprägt war.
Tatsächlich aber ging er seiner Aufgabe in einem hell erleuchteten Distriktsgerichtssaal mit niedrigen Decken, hellem Holz, beigefarbenen Vorhängen und hässlichem grauen Linoleum nach. Man fühlte sich in den Klassenraum einer High School versetzt.
Am Morgen der Verhandlung um Punkt neun Uhr nahm er am Anklagetisch Platz, flankiert von Adele Viamonte – sie trug ihr dunkelstes Kostüm, ihre weißeste Bluse und ihr entschlossenstes Gesicht – und Chuck Wu, der seinen Laptop aufbaute. Hunderte von Dokumenten, Beweisstücken und Rechtsbüchern lagen vor ihnen ausgebreitet.
An dem Tisch auf der anderen Seite des Ganges saß Ray Hartman. Er war umgeben von drei teuren Teilhabern der Anwaltskanzlei, die er beauftragt hatte, dazu zwei weiteren Anwälten und
vier
Laptops.
Die ungleichen
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