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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Schüler vor der ganzen Klasse etwas Peinliches gesagt. Der Staatsanwalt vermutete, dass diese Herablassung einzig dem Umstand zu verdanken war, dass es sich bei Viamonte um eine Frau handelte.
    Der Verteidiger wiederholte noch einmal, was er die ganze Zeit über gesagt hatte: »Mein Klient ist an keinem Handel interessiert, der auf eine Gefängnisstrafe hinausläuft.«
    Wie ein Echo seiner bisherigen Litanei wiederholte Tribow: »Das ist aber alles, was wir anbieten können.«
    »Dann will er vor Gericht gehen. Er ist überzeugt davon, dass er für unschuldig erklärt wird.«
    Tribow konnte sich nicht vorstellen, wie
das
möglich sein sollte. Ray Hartman hatte an einem Sonntagnachmittag im vergangenen März einem Mann in den Kopf geschossen. Dafür gab es Beweise – die ballistischen Untersuchungen und Schmauchspuren an seiner Hand. Es gab Zeugen, die ihn am Tatort bei der Suche nach dem Opfer beobachtet hatten, unmittelbar vor dessen Tod. Es gab Berichte über frühere Drohungen von Hartman und über Ankündigungen, dass er dem Opfer Gewalt antun würde. Es gab ein Motiv. Obwohl Danny Tribow immer vorsichtig war, was die Resultate der Fälle betraf, die er strafrechtlich verfolgte, konnte man sich einen eindeutigeren Fall als diesen hier kaum wünschen.
    Also versuchte er es ein letztes Mal: »Wenn Sie Mord im Affekt akzeptieren, dann werde ich fünfzehn Jahre empfehlen.«
    »Auf keinen Fall«, entgegnete Hartman und lachte über die Absurdität dieses Vorschlags. »Sie haben meinen Rechtsverdreher hier nicht gehört. Kein Gefängnis. Ich zahle eine Geldstrafe. Ich zahle eine
ordentliche
Geldstrafe. Ich leiste Sozialstunden ab. Aber kein Gefängnis.«
    Daniel Tribow war ein zierlicher Mann, der kaum aus der Fassung zu bringen war und stets seinen ruhigen Tonfall beibehielt. Niemand hätte Mühe gehabt, ihn sich mit Fliege und Hosenträgern vorzustellen. »Sir«, wandte er sich jetzt direkt an Hartman, »Sie haben hoffentlich verstanden, dass ich Sie wegen vorsätzlichen Mordes anklagen werde. In diesem Staat ist das ein Verbrechen ›unter besonders schweren Umständen‹. Im Klartext: Ich kann die Todesstrafe beantragen.«
    »Was ich verstehe, ist bloß, dass ich in unserem kleinen Zusammentreffen hier keinen großen Sinn mehr sehe. Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen, und wenn ihr mich fragt, Jungs und Mädels, solltet ihr Lieben ein bisschen eure Paragraphen pauken – denn wenn ihr mich verurteilt sehen wollt, wird das bitter nötig sein.«
    »Ganz wie Sie wünschen, Sir.« Tribow erhob sich. Er schüttelte dem Verteidiger die Hand, nicht aber dem Angeklagten. Adele Viamonte betrachtete sowohl den Anwalt als auch seinen Klienten wie Verkäufer, die ihr zu wenig Wechselgeld herausgegeben hatten. Sie blieb sitzen und hatte offensichtlich Mühe, das, was ihr auf der Zunge lag, herunterzuschlucken.
    Als sie gegangen waren, lehnte Tribow sich in seinem Sessel zurück. Er drehte sich ein Stück zur Seite, um durchs Fenster auf das Grün und die frühsommerlichen Farbtupfer der hügeligen Vorstadtlandschaft schauen zu können. Gedankenverloren spielte er mit dem einzigen Dekorationsstück in seinem Büro: einem Mobile für Kleinkinder mit Winnie-the-Pooh-Figuren, das mit einem Saugnapf an seinem Büroschrank befestigt war. Es gehörte seinem Sohn, beziehungsweise
hatte
seinem inzwischen zehnjährigen Sohn gehört, als er noch ein Baby gewesen war. Als Danny junior das Interesse an dem Mobile verloren hatte, konnte sein Vater es nicht übers Herz bringen, es wegzuwerfen. Stattdessen hatte er es hierher ins Büro mitgenommen. Seine Frau hielt das für eine der kleinen Albernheiten, die er sich manchmal leistete, wie seine berühmt-berüchtigten Streiche oder die Kostümierungen auf den Partys seines Sohnes. Tribow sagte ihr nicht, dass er das Spielzeug nur aus einem Grund hier haben wollte: Damit es ihn während der langen Wochen der Vorbereitungen und der Verhandlungen an seine Familie erinnerte, wenn es den Anschein hatte, als bildeten Richter, Geschworene, Polizisten und Kollegen die einzige Familie, die er hatte.
    »Ich biete ihm zehn Jahre statt einer Anklage unter besonders schweren Umständen«, fasste er zusammen. »Und er sagt, er will das Risiko eingehen? Ich verstehe das nicht.«
    Viamonte schüttelte den Kopf. »Nein. Es ergibt keinen Sinn. Er wäre nach sieben Jahren draußen. Wenn er den Prozess mit der Anklage ›unter besonders schweren Umständen‹ verliert – was höchstwahrscheinlich ist –,

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