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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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heiratete – einen Investmentbanker namens Sid Farnsworth.
    Der Artikel erwähnte, dass die beiden ihre Flitterwochen in San Francisco verbringen wollten, »meiner Lieblingsstadt«, wie Mary zitiert wurde. »Sid und ich hatten dort unsere erste richtige Verabredung.«
    Der Pfleger zog kurz in Erwägung, die Geschichte Dennis zu erzählen, entschied sich dann aber dagegen, weil er fürchtete, sie könne den Patienten aufregen. Abgesehen davon war dieser wie gewöhnlich in eines seiner Projekte vertieft, bei denen er nicht gestört werden wollte. Dennis verbrachte inzwischen die meiste Zeit damit, an einem Werktisch zu sitzen und Glückwunschkarten aus rotem Bastelpapier herzustellen. Er gab sie dann dem Pfleger mit der Bitte, sie abzuschicken. Was der Mann natürlich nie tat; den Patienten war es nicht gestattet, Post aus der Anstalt zu verschicken. Doch der Pfleger hätte sie ohnehin nicht absenden können – die Karten waren jedes Mal unbeschriftet. Dennis füllte diese Karten nicht aus, und niemals standen ein Name oder eine Adresse vorn auf dem Umschlag.

Das Weihnachtsgeschenk
    »Wie lange wird sie schon vermisst?«
    Der füllige Lon Sellitto – der seine Diät wegen der Feiertage ausgesetzt hatte – zuckte die Schultern. »Das ist ja irgendwie das Problem.«
    »Nur zu.«
    »Irgendwie ist es…«
    »Das hast du bereits gesagt«, meinte Lincoln Rhyme den Detective des NYPD erinnern zu müssen.
    »Ungefähr vier Stunden. Knapp.«
    Rhyme antwortete nicht. Ein Erwachsener galt grundsätzlich nicht als vermisst, wenn nicht mindestens vierundzwanzig Stunden vergangen waren.
    »Aber es gibt einige besondere Umstände«, fügte Sellitto hinzu. »Du musst wissen, über wen wir hier reden.«
    Sie befanden sich in einem improvisierten Labor zur Tatortuntersuchung – dem Wohnzimmer von Rhymes am Central Park West gelegenen Stadthaus. Das Labor war schon seit Jahren in einem provisorischen Zustand, verfügte aber über bessere Ausstattung und Materialien als die meisten Kleinstadt-Polizeireviere.
    Um die Fenster herum war eine geschmackvolle grüne Girlande drapiert, und vom Rasterelektronenmikroskop baumelte Lametta herab. Die Stereoanlage spielte heiter Benjamin Brittens
A Ceremony of Carols
. Es war Heiligabend.
    »Es ist bloß… sie ist so ein Schatz. Carly, meine ich. Und ihre Mutter weiß, dass sie vorbeikommen will, ruft aber nicht an, dass sie weggefahren ist, oder hinterlässt irgendeine Nachricht. Was sie sonst immer tut. Ihre Mutter – sie heißt Susan Thompson – ist ein ziemlich zugeknöpfter Typ. Es passt überhaupt nicht zu ihr, dass sie einfach so verschwindet.«
    »Sie besorgt dem Kind ein Weihnachtsgeschenk«, vermutete Rhyme. »Und wollte die Überraschung nicht verderben.«
    »Aber ihr Auto steht noch in der Garage.« Sellitto deutete mit dem Kopf zum Fenster, vor dem seit Stunden ein Konfettiregen dicker Schneeflocken niederging »Bei dem Wetter würde sie wohl kaum zu Fuß gehen, Linc. Und bei den Nachbarn ist sie auch nicht. Das hat Carly überprüft.«
    Hätte Rhyme die Kontrolle über seinen Körper besessen – und nicht nur über seinen linken Ringfinger, die Schultern und den Kopf –, dann hätte er wohl mit einer ungeduldigen Geste in Richtung von Detective Sellitto reagiert, einem Drehen der Hand beispielsweise oder nach oben gerichteten Handflächen. Aber wie die Dinge lagen, musste er sich einfach auf seine Worte verlassen. »Und wie ist diese Nicht-wirklich-vermisste-Person zu einem Fall für dich geworden, Lon? Ich spüre genau, dass du den barmherzigen Samariter gespielt hast. Du weißt doch, was man über gute Taten sagt, oder? Sie bleiben niemals ungestraft… Mal ganz abgesehen davon, dass die Sache jetzt
irgendwie
auf meinen Schultern zu landen scheint, stimmt’s?«
    Sellitto griff nach einem weiteren hausgemachten Weihnachtsplätzchen. Es hatte die Umrisse von Santa Claus, dessen mit Puderzucker bestreutes Gesicht irgendwie grotesk wirkte. »Die sind ziemlich gut. Möchtest du eines?«
    »Nein«, brummelte Rhyme. Dann wanderte sein Blick zu einem Regal. »Aber mit einem kleinen weihnachtlichen Vergnügen könnte ich deiner Verkaufsmasche etwas aufmerksamer folgen.«
    »Vergnügen… Oh, klar.« Er ging quer durch das Labor, fand die Flasche Macallan im Regal und goss einen kräftigen Schluck in einen Becher. Der Detective steckte einen Strohhalm hinein und befestigte den Becher in dem Halter an Rhymes Rollstuhl.
    Rhyme nippte an seinem Drink. Ah, himmlisch… Thom, sein

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