Todesreigen
glühenden Reifen mit seinem Schmiedehammer bearbeitete, rezitierte er Verse aus den jüngsten Werken von Shakespeare und Jonson oder aus den Klassikern von Marlowe oder dem verstorbenen Kyd. Diese Verse hatte er von den Aufführungen im Gedächtnis behalten, nicht von bedrucktem Papier, denn er war ein schlechter Leser.
Charles erzählte ihnen gerade die Geschichte, die Marr ihm offenbart hatte. Die Freunde waren erschüttert von den Neuigkeiten über den Tod Richard Coopers. Sie begannen Charles auszufragen, doch er brach das Gespräch ab, indem er verkündete: »Derjenige, der diese schreckliche Tat vollbracht hat, wird durch meine Hand sterben. Dazu bin ich fest entschlossen.«
»Aber«, wandte Stout ein, »wenn Ihr Murtaugh tötet, wird der Verdacht sofort auf Euch fallen wegen seiner Freveltaten gegen Euren Vater.«
»Ich glaube nicht«, antwortete Charles. »Es war Lord Westcott, der das Land meines Vaters gestohlen hat. Murtaugh war in erster Linie der Vermittler. Nein, ich wette, dass dieser Bandit an so vielen Übeltaten mit so vielen Opfern beteiligt war, dass eine Untersuchung all jeder, die Grund hätten, ihn zu töten, den Gendarmen ein Jahr lang auf Trab halten würde. Ich glaube, dass ich meine Rache nehmen und trotzdem ungestraft davonkommen kann.«
Hal Pepper, der reich und damit erfahren im Umgang mit dem Gericht war, meinte: »Ihr wisst nicht, was Ihr sagt. Murtaugh hat Freunde in hohen Positionen, die darüber, ihn zu verlieren, nicht erfreut sein werden. Die Korruption ist eine Hydra, eine Kreatur mit vielen Köpfen. Ihr mögt einen Kopf abschlagen, doch wird Euch ein anderer vergiften, noch ehe der erste nachwächst – was er sicher tun wird.«
»Das ist mir egal.«
Stout sagte: »Aber ist es Eurer
Frau
auch egal? Ganz sicher nicht, mein Freund. Wäre es Euren
Kindern
egal, wenn man ihren Vater streckt und vierteilt?«
Charles deutete mit dem Kopf auf ein über Hals Kamin hängendes Florett. »Ich könnte Murtaugh zum Duell herausfordern.«
Hal erwiderte: »Er ist ein exzellenter Fechter.«
»Trotzdem könnte ich gewinnen. Ich bin jünger, vielleicht auch kräftiger.«
»Selbst wenn Ihr ihn schlagt, was dann? Eine kurze Begegnung mit den Geschworenen des Obersten Gerichtshofs, und anschließend ein Besuch beim Henker.« Hal fuchtelte empört mit den Armen herum. »Zum Teufel damit… bestenfalls würdet Ihr enden wie Jonson.«
Ben Jonson, der Schauspieler und Dramatiker, hatte vor einigen Jahren einen Mann beim Duell getötet und war knapp der Hinrichtung entkommen. Er konnte sich nur dadurch retten, dass er den Genick-Vers zitierte – Psalm 50, Vers 1 – und die Unterstützung des Klerus erflehte. Doch seine Bestrafung war hart: Er wurde mit einem heißen Eisen gebrandmarkt.
»Ich werde schon einen Weg finden, Murtaugh zu töten.«
Hal ließ nicht locker in seinen Versuchen, ihm die Sache auszureden. »Aber welchen Vorteil kann sein Tod Euch verschaffen?«
»Er kann mir Gerechtigkeit verschaffen.«
Hals Gesicht verzog sich zu einem ironischen Lächeln. »Gerechtigkeit in London? Das wäre so etwas wie das sagenumwobene Einhorn, von dem jeder spricht, das aber niemand zu Gesicht bekommen hat.«
Stout nahm eine Tonpfeife, die in seinen massiven Tischlerhänden winzig wirkte, und stopfte sie mit aromatischen Kräutern aus den Amerikas, die momentan ziemlich in Mode waren. Er führte einen brennenden Strohhalm zum Pfeifenkopf und inhalierte kräftig. Bald schon stieg Rauch zur Decke auf. Langsam sagte er zu Hal: »Euer Spott ist nicht ganz unangebracht, mein Freund, doch sagt mir mein einfacher Verstand, dass Gerechtigkeit nichts völlig Fremdartiges ist, nicht einmal unter den Bewohnern Londons. Was ist mit den Theaterstücken, die wir uns ansehen? Oftmals spielt die Gerechtigkeit eine große Rolle in ihnen. Die Faustus-Tragödie… und das, was wir vor zwei Wochen im Globe sahen, von der Feder unseres Freundes Will Shakespeare verfasst: die Geschichte von Richard dem Dritten. Die Personen des Stückes stecken bis zum Hals im Bösen – doch das Recht setzt sich durch, wie Henry Tudor beweist, indem er den ›verdammten Hund‹ erschlägt.«
»Genau«, flüsterte Charles.
»Doch diese Figuren sind nur ausgedacht, meine Freunde«, entgegnete Hal. »Sie besitzen keine andere Substanz als die der Tinte, mit der Kit Marlowe und Will sie zu unserer Unterhaltung aufgeschrieben haben.«
Charles ließ sich trotzdem nicht abbringen. »Was wisst Ihr über diesen Murtaugh? Hat er
Weitere Kostenlose Bücher