Todesreigen
Dann schaute er sich um und flüsterte: »Wahrhaftig, mein Herr, ich besitze Informationen darüber, was an diesem traurigen Tag wirklich geschah.«
»Fahrt fort«, befahl Charles.
»Westcott befand sich in einer Lage, die viele Adlige dann und wann ereilt«, erklärte Marr. »Sein Lebensstil hatte sein Vermögen weitgehend aufgezehrt, und er fand sich immer tiefer in Schulden verstrickt.«
Dies war jedem wohl bekannt, der die Druckschriften der Fleet Street las oder dem Klatsch in den Schenken lauschte. Viele Adlige verkauften ihre Güter und Teile ihres Landbesitzes, um die Kosten für ihren extravaganten Lebensstil aufbringen zu können.
»Da erhielt Westcott Besuch von einem unehrenhaften Schurken namens Robert Murtaugh.«
»Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte Margaret. »Aus irgendwelchen Gründen, an die ich mich nicht erinnern kann, hat er einen unerfreulichen Klang.«
»Wahrhaftig, gute Dame, das kann ich mir vorstellen. Murtaugh ist ein Peer des Königreiches, aber ein Ritter niederen Ranges, eine Stellung, die er sich selbst gekauft hat. Er hat es sich zum Geschäft gemacht, hoch verschuldete Adlige aufzutreiben. Dann heckt er die unterschiedlichsten Pläne aus, durch die diese Adligen auf illegalem Wege zu Land oder Besitz kommen. Er selbst lässt sich dafür mit einem großzügigen Anteil ihres Gewinns entlohnen.«
Von Grauen gepackt, flüsterte Charles: »Und mein Vater war Opfer eines solchen Komplotts?«
»Wahrhaftig, mein Herr, das war er. Ich und die anderen Schurken, die ich erwähnt habe, lauerten ihm auf seinem eigenen Besitz auf und brachten ihn gefesselt auf Lord Westcotts Felder. Dort trafen, wie es zuvor arrangiert worden war, die Amtsdiener des Sheriffs ein und töteten ihn. Ein toter Hirsch, Bogen und Köcher wurden neben seine kalte Leiche gelegt, um zu beweisen, dass er gewildert hatte.«
»Dein Vater, ermordet«, flüsterte Margaret.
»Oh, gnädiger Gott im Himmel«, sagte Charles, und seine Augen brannten vor Schmerz. Er zog seinen Dolch wieder hervor und drückte die Klinge an Marrs Hals. Der Schurke rührte sich keinen Zentimeter.
»Nein, mein Mann, das darfst du nicht tun. Bitte.« Margaret nahm seinen Arm.
Der Mann sagte: »Wirklich, oh Herr, ich wusste nicht, dass die Amtsdiener auf einen Mord aus waren. Ich dachte, sie hätten es einfach darauf abgesehen, von Eurem Vater ein Lösegeld für seine Entlassung zu kassieren, wie solche bäuerlichen Gesetzesdiener es gelegentlich zu tun pflegen. Niemand war mehr schockiert als ich über den tödlichen Ausgang, den die Ereignisse an jenem Tag nahmen. Trotzdem bin ich an diesem abscheulichen Verbrechen so schuldig wie sie, und ich werde nicht um Gnade betteln. Wenn Gott Eure Hand bewegt, um mir als Vergeltung für meine Tat die Kehle aufzuschlitzen, dann sei es so.«
Die Erinnerung an jene schreckliche Nacht durchströmte ihn – die schmähliche Art und Weise, in der der Sheriff die Leiche zum Haus gebracht hatte, das kummervolle Weinen seiner Mutter, dann die langen Tage danach: der Tod seiner Mutter, die Armut, der Kampf um ein neues Leben in der gnadenlosen Stadt London. Trotzdem konnte Charles die Hand nicht gegen diese jämmerliche Kreatur erheben. Langsam ließ er den Dolch sinken und steckte ihn wieder in die Scheide an seinem Gürtel. Er musterte Marr aufmerksam. Er entdeckte große Reue im Gesicht des Mannes, so dass er den Eindruck gewann, dieser habe die Wahrheit gesagt. Trotzdem fragte er: »Wenn Murtaugh so ist, wie Ihr ihn geschildert habt, dann haben viele Leute Grund genug, ihn zu hassen. Woher soll ich wissen, dass Ihr nicht einer jener von ihm Geschädigten seid und diese Geschichte erfunden habt, um ihm einen – wie Euer Name nahe legt – maroden Leumund anzuhängen?«
»Beim Leib unseres Herrn, ich sage die Wahrheit. Ich empfinde keine Bitterkeit gegenüber Sir Murtaugh, denn es war meine freie Wahl, meine Seele durch diese böse Tat zu korrumpieren, die ich Euch offenbart habe. Doch ich kann Euren bitteren Blick auf meine Motive verstehen und Euch ein Beweisstück vorlegen.«
Marr zog einen goldenen Ring aus der Tasche und drückte ihn Charles in die Hand.
Der Weinhändler schnappte nach Luft. »Das ist der Siegelring meines Vaters. Schau nur, Margaret, siehst du seine umgedrehten Initialen? Ich erinnere mich, wie ich manchmal abends bei ihm saß und zuschaute, wie er den Ring in heißes rosenrotes Wachs drückte, um seine Korrespondenz zu versiegeln.«
»Ich nahm ihn als Teil der Belohnung für
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