Todesreigen
unsere Dienste; meine Kameraden teilten sich die Münzen aus dem Beutel Eures Vaters. Ich habe oft gedacht: Wenn ich, wie sie, die Münzen genommen und ausgegeben und damit das Andenken an unsere Tat gelöscht hätte, dann hätte – anders als bei diesem Stück Gold – die Schuld über all die Jahre vielleicht nicht in mir gebrannt wie die Kohlen eines Schmelzers. Jetzt aber bin ich froh, ihn behalten zu haben, denn so kann ich ihn wenigstens seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben, bevor ich meine sterbliche Hülle ablege.«
»Mein Vater ist der rechtmäßige Besitzer, nicht ich«, murmelte Charles düster und schloss die Hand fest um den Ring. Er lehnte sich gegen die steinerne Wand und begann vor Wut und Trauer zu zittern. Im nächsten Moment spürte er, wie seine Frau seine Hand ergriff. Der heftige Druck, mit dem er den Ring umklammert hielt, lockerte sich.
Margaret sagte: »Wir müssen vor Gericht gehen. Westcott und Murtaugh werden die Peitsche des Gesetzes zu spüren bekommen.«
»Wahrhaftig, Madam, das wird niemals passieren. Lord Westcott ist seit fünf Jahren tot. Und sein räuberischer Sohn hat jeden Penny des Erbes durchgebracht. Das Land ist als Ausgleich für die Steuerschuld an die Krone gefallen.«
»Was ist mit Murtaugh?«, fragte Charles. »Lebt er noch?«
»Oh ja, mein Herr. Aber auch wenn er gesund ist und sein Quartier in London hat, so ist er dem Zugriff der Justiz doch noch mehr entzogen als Lord Westcott im Himmel. Denn Sir Murtaugh besitzt die Gunst des Herzogs und anderer, die einen hohen Rang am Hof bekleiden. Viele haben von den Diensten des Schurken Gebrauch gemacht, um ihre Schulden zu verringern. Die Richter am Obersten Gerichtshof werden sich Eure Klage nicht einmal anhören. In Wahrheit werdet Ihr Eure Freiheit, ja, sogar Euer Leben in Gefahr bringen, wenn Ihr diese Vorwürfe öffentlich erhebt. Mein Ansinnen heute Abend war nicht, Euch zu einem leichtsinnigen Rachefeldzug zu treiben, mein Herr. Ich möchte nichts anderes als Wiedergutmachung an jemandem leisten, dem ich Böses zugefügt habe.«
Charles starrte Marr einen Moment an. Dann sagte er: »Ihr seid ein böser Mann. Und auch wenn ich ein guter Christ bin, so kann mein Herz Euch doch nicht vergeben. Trotzdem werde ich für Eure Seele beten. Vielleicht ist Gott nachsichtiger als ich. Nun macht Euch fort. Ich schwöre, dass, solltet Ihr noch jemals meinen Weg kreuzen, meine Dolchhand sich nicht von einem Besuch an Eurer Kehle abhalten lassen wird und Ihr früher als erwünscht die Chance bekommt, Euch vor dem himmlischen Gericht zu verteidigen.«
»Ja, guter Herr. So soll es sein.«
Charles widmete seine Aufmerksamkeit kurz dem Ring, den er an seinen Finger steckte. Als er wieder aufblickte, war die Gasse leer; der zerlumpte Mann war geräuschlos in der Nacht verschwunden.
Kurz vor dem Anzünden der Laternen am folgenden Tag verschloss Charles Cooper sein Lagerhaus und begab sich zum Heim seines Freundes Hal Pepper, einem Mann, der beinahe so alt wie Charles, aber wesentlich wohlhabender war. Er hatte mehrere Wohnungen in einer hübschen Gegend der Stadt geerbt, die er mit gutem Gewinn vermietete.
Bei ihnen war außerdem ein hochgewachsener Mann, der sich ausgesprochen bedächtig bewegte und sprach. Sein richtiger Name war irgendwann im Lauf seines Lebens in Vergessenheit geraten, und so kannte ihn jedermann als Stout, was sich nicht auf seinen bemerkenswerten Leibesumfang bezog, sondern auf seine Vorliebe für Schwarzbier. Er und Charles waren sich vor einigen Jahren begegnet, als der Weinhändler bei ihm eingekauft hatte; Stout stellte Fässer her und verkaufte sie. Er scherzte immer wieder gern darüber, dass er ein Cooper, also Böttcher, von Berufs wegen, Charles aber ein Cooper von Geburt her war.
Die drei Männer waren enge Kameraden geworden, die gemeinsame Interessen teilten – Kartenspiele und Schenken und, allem voran, die Liebe zum Theater; sie setzten oft über ans Südufer der Themse, um sich ein Stück im Swan-, im Rose- oder im Globe-Theater anzusehen. Pepper machte außerdem gelegentlich Geschäfte mit James Burbage, der viele der Londoner Theater gebaut hatte. Charles seinerseits hegte kaum verborgene Sehnsüchte nach dem Schauspielerberuf. Stout hatte keinerlei Verbindung zum Theater außer einer kindlichen Faszination für Stücke, die, so schien er zu glauben, ihm die Tür zur Welt außerhalb der Londoner Arbeiterschicht öffneten. Während er die Dauben seiner Fässer hobelte und die rot
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